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Im Wandel der Zeit

Vom Flüchtlingslager zum Seniorenheim.
St. Michael feiert 70. Jubiläum

Auch Häuser haben spannende Geschichten zu erzählen. Eines von ihnen ist das heute als St. Michael bekannte Seniorenheim in der Herkomerstraße 10 in Füssen, das vor 70 Jahren seinen Namen erhielt. „Ein gutes Zimmer, Licht und Heizung, fließend kaltes und warmes Wasser, Terrasse, Garten, Liegewiese, Frühstück mit Tee und Kakao, Mittagessen an kleinen Tischen und abends kalte Platte. Die Pension liegt in ruhiger Lage mit Rundblick auf das Gebirge. Auch für den Winter bietet unser Haus in seiner sonnigen Lage mit dem schönsten Ausblick auf die schneebedeckten Berge einen angenehmen Aufenthalt. Pensionspreis vier bis sechs Reichsmark.“ So warb die Familie Gregg bis in die 30er Jahre für ihre gleichnamige Pension in der Herkomerstraße in Füssen.

Dann kam der Krieg und an dessen Ende wurden dringend zusätzliche Unterkunftsmöglichkeiten für die aus ihrer sudetendeutschen Heimat Vertriebenen benötigt. Die Unterbringung dieser Menschen, vor allem der Alten und Gebrechlichen, machte sich der damalige Kreisverband Füssen des Roten Kreuzes zur Aufgabe.

Maria Scholz (1949 -1963) war Heimleiterin der ersten Stunde. Nachdem sie aus ihrer Heimat Ottendorf, Kreis Braunau in Böhmen, vertrieben wurde, kam sie auf ihrer Flucht ins Allgäu und fand im Altenheim Gregg eine neue Lebensaufgabe.

In einem Artikel des Füssener Blatts vom 16.10.1976 erinnerte BRK-Geschäftsführer Rudolf Weith an die Situation, als „nach dem Zweiten Weltkrieg ein Flüchtlingsstrom ins Füssener Land kam und die Heimatvertriebenen zunächst hauptsächlich in Hotels, Gaststätten und Pensionen untergebracht waren.“ So auch in der Pension Gregg. Bald stellte sich jedoch die Frage nach einer dauerhaften Unterbringung.

Auf Initiative von Stadtoberhaupt Dr. Michael Samer und des damaligen Kreisgeschäftsführers Alfons Christa des BRK – Kreisverbandes Füssen wurde 1950 neben dem Neubau des Altenheims St. Martin mit 120 Plätzen der Kauf des Hauses Gregg beschlossen. In diesem Haus mit seinen rund 20 Plätzen bildete sich unter Heimleiterin Maria Scholz eine fast familiäre Gemeinschaft. Scholz, selbst Geflüchtete aus Ottendorf, Kreis Braunau in Böhmen, hatte nach herben persönlichen Verlusten als ‚Mutter des Altenheims Gregg‘ eine neue Lebensaufgabe gefunden. Maria Scholz und ihr Fahrrad waren in Füssen stadtbekannt.

Eine von vielen Bewohner-Generationen im Jahr 1960 vor dem Seniorenheim St. Michael, vormals Fremdenheim Pension Gregg, in der Herkomerstraße 10 in Füssen.

Doch immer noch reichten die Plätze nicht aus und so beschloss das Rote Kreuz 1952 den Bau eines Pensionistenheims für gehobene Ansprüche. Der heutige Ostflügel des Seniorenheims mit 60 Plätzen wurde an die Pension angebaut. „Am 01. Dezember 1952 erhielt das Heim seinen heutigen Namen St. Michael, nach dem Mitinitiator und Stadtoberhaupt Dr. Michael Samer“, so der heutige Einrichtungsleiter Matthias Stroeher. „Der Ostflügel wurde seit seiner Errichtung bereits dreimal, zuletzt 2001, komplett saniert und hat heute ein besonders hohes Maß an Wohnkomfort zu bieten.“

Noch völlig unbebaut – Füssen West.

Mit steigendem Lebensstandard wurden die Wünsche nach Zimmern mit Bad und Dusche, schönen Aufenthaltsräumen und gar einer Cafeteria mit großer Dachterrasse immer lauter. Daher entschloss sich der Kreisverband für einen Neubau, der an den Altbau von St. Michael anschließen sollte. Das alte Gebäude der ehemaligen Pension Gregg musste dabei weichen. Unter Einrichtungsleitung Schwester Christl Lindenblatt war der neue Flügel 1975 fertiggestellt und bezogen worden. Ihr folgte 1976 Schwester Christina Engelhardt als neue Leitung.

Auf der Dachterrasse des Seniorenheims genossen die Bewohner und Bewohnerinnen ihre Alterszeit. Immer adrett gekleidet mit Krawatte und Jäckchen.

„Das Ergebnis ist eine gut durchdachte und geräumige Wohnanlage auf höchstem Niveau, die unseren Bewohnerinnen und Bewohnern auch heute – nach zahlreichen Renovierungen – ein ansprechendes Zuhause bietet“, ist Matthias Stroeher stolz auf die Geschichte seines Hauses.

Anlässlich des 70. Jubiläums hat er zahlreiche historische Dokumente zusammengestellt und eine Ausstellung im Erdgeschoss von St. Michael organisiert. Interessierte können diese nach telefonischer Anmeldung unter Tel. 08362/104 besichtigen.

St. Michael heute

Leiter des Seniorenheimes: Matthias Stroeher

Das Foyer im St. Michael sieht einladend aus. Hier will man verweilen, sehen, wer reinkommt und rausgeht. Tatsächlich ist es auch ein Treffpunkt der Bewohner, jener, die noch rüstig sind und mit ihrem Rollator oder zu Fuß in das Erdgeschoss kommen. Eine Bierstube, so wie in den 70er Jahren gibt es nicht. Die Zeiten haben sich geändert. „Früher ist man noch ganz fit ins Seniorenheim gegangen. Sobald man in die Rente kam, war es üblich, sich nach einem Platz umzusehen“, erzählt Matthias Stroeher. Es wurde geraucht, getanzt, Karten gespielt und abends ging man aus zum Essen. „Man warb damit, dass die Innenstadt in wenigen Gehminuten erreichbar ist und auch eine Pizzeria hat“, so der Heimleiter. Besonders Bewohner aus den Großstädten wie Berlin schätzten das sehr, so dass die 74 neu gebauten Zimmer innerhalb eines Jahres belegt waren. Das St. Michael galt immer schon als ein Seniorenheim für fitte Menschen, die das mondäne Leben liebten.

Die Ausstellung

Heute sind andere Kriterien relevanter. Viele Menschen, die heute ins Seniorenheim St. Michael kommen, sind gebrechlich. Die Betreuung und Pflege stehen hier an erster Stelle. Die Verweildauer beträgt im Gegensatz zu den 70er und 80er Jahren zwischen einem und zwei Jahren. „Das ist der Durchschnitt. Natürlich haben wir auch Bewohner, die fünf oder zehn Jahre hier leben“, erklärt Matthias Stroeher. Als er die Heimleitung übernahm, änderte sich vieles. Es waren kleine Schritte mit großer Wirkung, die peu à peu umgesetzt wurden, wie zum Beispiel der Umbau des Gartens, Kneippen oder die Kunsttherapie. „Das Wohlfühlen fördert die Gesundheit. Das ist Fakt“, so Stroeher. St. Michael war auch das erste Seniorenheim, das eine Roboter-Robbe mit hochtechnisiertem Innenleben anschaffte. Sie reagiert auf Stimmen und Berührungen, öffnet die Augen und hebt den Kopf und gibt Töne von sich. Sie wird zur Betreuung und Pflege Demenzkranker eingesetzt. Der Kontakt mit ihr regt Gehirnregionen an, die für Sprache und Emotionen zuständig sind. „Mit ihrer Hilfe gelingt es, Kommunikation mit und zwischen sonst eher verschlossenen Bewohnern aufzubauen“, erläutert Stroeher. Der Heimleiter geht manchmal ungewöhnliche Wege, die immer das eine zum Ziel haben: Den Bewohnern und den Bewohnerinnen das Leben im St. Michael so gut es geht angenehm zu gestalten. Dazu gehören die Mitarbeiter, die aus 32 verschiedenen Ländern kommen, aber auch der philosophische Ansatz, wie man den Menschen betrachtet, ihm Respekt entgegenbringt.

Das einladende Foyer ist ein Treffpunkt für die Bewohner und Bewohnerinnen und ihren Besuch.

Die schöne Kapelle mit ihrer hohen Decke ist einer der ruhigsten und besinnlichsten Orte im Haus. Hier finden regelmäßig Gottesdienste, aber auch Konzerte statt. Es sind schöne Begegnungen, die in Erinnerung bleiben, so wie die Lechsteine. Wenn ein Bewohner oder eine Bewohnerin stirbt, bekommt er oder sie als Gedenken einen Lechstein mit seinem oder ihrem Namen darauf geschrieben. Am Ende des Jahres werden die Lechsteine wieder dem Lech zurückgegeben – sozusagen dem Fluss des Lebens.

Text: pm / Sabina Riegger ·
Fotos: Historische Fotos, Archiv St. Michael, Sabina Riegger (3)

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