BrauchtumLeben

„Im Gebet versunken“

Zwei Bayerische Könige und der Füssener Kalvarienberg

Am späten Nachmittag des Karfreitags 1886 besuchte ein hoher Gast den Füssener Kalvarienberg – König Ludwig II. von Bayern. Der vierzigjährige Monarch hatte den einsamen Wiesenweg vom Schloss Neuschwanstein über den Schwanseepark gewählt, um völlig ungestört sein zu können. An diesem hohen Feiertag war der Großteil der Bevölkerung in den Füssener Kirchen zum Gottesdienst versammelt. Die Wege und auch der Kalvarienberg waren beinahe menschenleer. „Als der König uns sah, nahm er seinen Hut von seinem wallenden Haar, nickte, und ging an uns vorbei. Ich bemerkte, daß der König einen Seitenweg einschlug, um offensichtlich allein mit sich sein zu können.“ Berichtet einer der wenigen Augenzeugen in seinen Erinnerungen. Dass man den König an diesem Ort antraf, war nicht außergewöhnlich. Der streng gläubige Monarch besuchte während seiner Aufenthalte in den Schlössern Hohenschwangau und Neuschwanstein regelmäßig den Füssener Kalvarienberg. Wie bereits für seine Eltern, war auch für Ludwig II. dieser Ort etwas Besonders.

Sein Vater, König Max II., konnte als Kronprinz die Entwicklung des Kalvarienbergs von Beginn an beobachten. Entstand diese religiöse Verehrungsstätte doch zufälligerweise beinahe zeitgleich mit dem Wiederaufbau seines Schlosses Hohenschwangau. All die Jahre, die am Kalvarienberg gearbeitet wurde, besuchte Max den Hutlerberg vor den Toren der Stadt Füssen, um die Fortschritte der Bauarbeiten zu besichtigen. Der Kronprinz und spätere König verteilte Geschenke unter den Mitwirkenden und zeigte symbolisch seine Unterstützung „(…) allerhöchste und höchste Herrschaften trugen Steine nach der Höhe des Berges, worunter auch namentlich S. Majestät, der jetzt regierende König Max II., so wie Damen vom ersten Range bemerkt wurden.“, erinnerte sich Pfarrer Johann Baptist Graf, der 1833 den Entschluss fasste, den Kalvarienberg inklusive Kreuzweg auf dieser Anhöhe vor Füssen entstehen zu lassen. Durch das ambitionierte Projekt stand der sehr religiöse Kronprinz in regem Austausch mit dem Stadtpfarrer.
Die Verbundenheit Maximilians zum Kalvarienberg wird durch die besondere Bitte Grafs deutlich, die er im Jahr 1841 an Seine Königliche Hoheit richtete. Er bat ihn um die Vermittlung einer besonderen Reliquie. Der Pfarrer wünschte sich nichts Geringeres als einen Kreuzpartikel für den Kalvarienberg. Kronprinz Max übersandte den Wunsch nach Rom und bereits im darauffolgenden Jahr fand dieses besonders verehrungswürdige Stück seinen Weg nach Füssen. In der Marienkapelle des Kalvarienbergs sollte die heilige Reliquie aufbewahrt werden. Doch der Kronprinz war mit diesem Platz nicht einverstanden. Der einzige, seiner Vorstellung nach, würdige Ort war direkt unter den Kreuzen auf dem Gipfel. So kam es, „(…) um insbesondere Sr. Kgl. Hoheit dem Kronprinzen von Bayern für sein wertvolles Geschenk sich dankbar zu zeigen, ward der Plan aufgeführt, unter den 3 Kreuzen durchzubrechen und auf der Südseite gegen Hohenschwangau eine kleine Grabkapelle zu erbauen.“

Die Platzierung der Kapelle gewährleistete, dass die neue Verehrungsstätte bei Tag und Nacht von Maximilians Schloss Hohenschwangau aus gesehen werden konnte. Denn die vor der Reliquie brennende Lampe konnte man auch nachts bis Hohenschwangau leuchten sehen. Nicht nur durch dieses Licht suchte Pfarrer Graf seine Dankbarkeit und Verbundenheit zu Maximilian kundzutun. Darüber hinaus entstand neben der Kapelle ein Betraum, zu dem Max und seine Ehefrau Marie einen Schlüssel erhielten. Auch ein Weg auf der Südseite des Kalvarienbergs wurde auf Geheiß des Stadtpfarrers in Dankbarkeit für den Kronprinzen gebaut.

Genau diesen Weg beschritt nun Maximilians Sohn, König Ludwig II., am Nachmittag des Karfreitags 1886, um an den 13 Stationen des Kalvarienbergs beten zu können. Schon seit mehreren Tagen hielt sich Seine Majestät wieder in der Einsamkeit Hohenschwangaus auf. Obwohl sich sein neues Schloss Neuschwanstein noch im Bau befand, bezog er auch in diesem Jahr sein Appartement im dritten Obergeschoss des Palas. Den offiziellen Osterfeierlichkeiten in der Hauptstadt war Ludwig auch in diesem Jahr ferngeblieben. Bei der Fußwaschungszeremonie, die am Gründonnerstag im Herkulessaal der Residenz abgehalten wurde, ließ er sich durch ein Familienmitglied vertreten. Seine permanente Abwesenheit von der Hauptstadt und den offiziellen Hof- und Kirchenfesten entzog ihm immer mehr die Sympathie der Münchener Bevölkerung. Darüber hinaus quälten ihn seine fortwährende finanzielle Handlungsunfähigkeit und die stetig steigende Angst vor Attentaten. Hier am Kalvarienberg versuchte er in seinem tiefen Glauben Kraft zu schöpfen.

„Plötzlich, als ich zu einer nächsten Station kam, sah ich den König mit tiefster Andacht im Gebet versunken. Sofort blieb ich stehen, denn ich fühlte, dieser Mann besaß mehr Gläubigkeit als manche noch so eifrige Kirchenbesucher. Als ich mich wieder etwas zurückziehen wollte, mußte ich Zeuge eines mir unvergesslichen Vorganges sein (…). Bevor der Monarch sich der Station wieder abwandte, erhob er sein Gesicht zum wolkenverdeckten Himmel. Lange verharrte ein verzweifelter, von Traurigkeit und Schmerz gezeichneter Blick in der Richtung, in der er Gott zu suchen schien. Dann strich er sich mit der rechten Hand übers Gesicht, um seine Tränen zu verbergen.“

Nur wenige Wochen später war Ludwig II. tot. Er starb am 13. Juni 1886 im Starnberger See unter bis heute ungeklärten Umständen.

Text: Vanessa Richter
Fotos: Hubert Riegger

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