BrauchtumLeben

Katholische Kirche ist nicht gleich Amtskirche

Die Glaubwürdigkeit ist verloren gegangen

Seit drei Jahrzehnten ist Manfred Sailer in der Kirche als ehrenamtlicher Mitarbeiter aktiv. Unter anderem 30 Jahre im Pfarrgemeinderat, davon 16 Jahre als Vorsitzender, 16 Jahre Vorsitzender im Dekanatsrat Marktoberdorf und seit über 30 Jahren Vorsitzender der Kolpingfamilie Füssen

Der Glaube hat für den Füssener einen großen Stellenwert. Dazu gehört auch sein Engagement für die Kirche. Seit einigen Jahren verliert die Kirche jedoch immer mehr an Glaubwürdigkeit. Kirchenaustritte, aber auch Frustration und Enttäuschung nehmen immer mehr unter den Gläubigen. Manfred Sailer ist der festen Überzeugung, dass die Kirche trotz ihrer Missbrauchsskandale viel Gutes tue. „Jeder Missbrauch ist ein Missbrauch zu viel. Das darf und kann man nicht entschuldigen. Dagegen muss man vorgehen und die Betreffenden zur Rechenschaft ziehen. Allerdings neigt unsere Gesellschaft dazu, negative Geschehnisse auf eine Berufsgruppe, Institution, Religion oder auch auf die Herkunft zu verallgemeinern, oder gar zu reduzieren. Das ist etwas, was ich nicht gutheiße“, so Sailer. Wie er das meint und was er generell von der Institution Kirche hält, wollten wir in einem Gespräch mit ihm wissen.

Herr Sailer, können Sie noch für die katholische Kirche ehrenamtlich tätig sein, nachdem diese viel an Glaubwürdigkeit verloren hat?
Ja, natürlich und deshalb stehe ich gerne als Kandidat im März bei den Wahlen für den Pfarrgemeinderat wieder auf der Kandidatenliste. Für mich persönlich ist es wichtig, wie Glaube in den Gemeinden vor Ort gelebt wird und, dass die Werte und das Gute, das durch Kirche und kirchliche Institutionen und unzählig viele Ehrenamtliche Tag für Tag getan wird, weitergeführt wird. Zurzeit ist leider der Missbrauchsskandal unmittelbar nach Corona in den Schlagzeilen ganz oben und das Positive geht einfach unter und findet bedauerlicherweise kaum noch Erwähnung. Glaubwürdigkeit hat für mich nicht die katholische Kirche verloren, sondern die „Amtskirche“, ein Begriff der irgendwo immer herumschwirrt, mit dem ich eigentlich nicht viel anfangen kann. Am meisten, so meine persönliche Meinung, hat die Glaubwürdigkeit durch die Versuche gelitten, alles unter einen Teppich zu kehren, dieses unselige Vertuschen hat meines Erachtens den Schaden beträchtlich gesteigert. Mir missfällt besonders die fehlende Solidarität mit Opfern und Betroffenen, während man versucht, die Täter zu decken. Es scheint, einige der „hohen Herren“ waschen ihre Hände viel lieber in Unschuld, wie ehedem Pontius Pilatus in Jerusalem. Die Antwort darauf muss ja nicht gleich so radikal sein wie bei Mt 18,6: „Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein um seinen Hals gehängt und er im Meer ersäuft würde, wo es am tiefsten ist.“

Oft werden Doppelmoral und Kirche in einem Atemzug genannt. Was meinen Sie dazu? Herrscht in der Kirche eine gewisse Doppelmoral?
Das möchte ich nicht grundsätzlich von der Hand weisen, mir fällt da spontan der alte Spruch ein: „Wasser predigen und Wein trinken.“ Es wird in heutiger Zeit längst nicht mehr von allen widerspruchslos hingenommen, wenn man immer wieder auf die christlichen Gebote hingewiesen wird, vor allem dann nicht von denjenigen, wenigen Bischöfen oder Kardinälen, die sich in dieser schweren Krise alles andere als vorbildlich verhalten und selber nicht danach handeln. Gott sei Dank nicht die Mehrheit der sogenannten Oberhirten.

Was erwarten Sie von einem Bischof?
Der Bischof als Oberhirte hat die Verantwortung für das Geschehen in seiner Diözese rückhaltlos zu tragen, es ist z.B. nicht damit abgetan, eine Auszeit zu nehmen (Bischof Wölki) und dann zurückzukommen als wäre nichts geschehen. Auch das Rumgeeiere eines Papsts emer. Benedikt XVI auf 82 Seiten (vielleicht sogar bis hin zur Lüge!) ist mehr als beschämend. Ein einfacher, ehrlicher Satz „mea culpa“ ohne Wenn und Aber, vor allem rechtzeitig und nicht erst nach immer größer werdendem und berechtigtem Druck durch die Öffentlichkeit, wäre mehr als angebracht und wahrlich christlich gewesen.

Sie sagten, dass unsere Gesellschaft, um es salopp auszudrücken, alles in einen Topf wirft. Wie meinen Sie das genau?
Es ist nicht nur im kirchlichen Bereich so, dass vieles verallgemeinert wird, ganze Gruppierungen immer wieder pauschal angegriffen oder verurteilt werden. Es ist ja nicht die Kirche, schon gar nicht die vor Ort, die angeklagt wird, es sind einzelne Menschen, die diese Taten begangen haben und sich dafür letztlich vor Gott und ihrem Gewissen verantworten müssen.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas in der Kirche zu verändern, was wäre das?
Es sind ja Gott sei Dank immer wieder Bestrebungen vorhanden wie zum Beispiel zurzeit gerade der „synodale Weg“, die Reformen und Änderungen berechtigterweise anmahnen und einfordern, wohlgemerkt in gut überdachten und langsamen, aber notwendigen Schritten für eine gute Zukunft unserer Kirche.

Mehr Demokratie und Mitspracherecht der Laien würden sicher nicht schaden, was spräche dagegen, wenn gewählte Gremien bei der Wahl eines neuen Bischofs gehört werden würden?
Auch die Stellung der Frau in der Kirche ist ein Thema, das wohl längst ernsthaft in Angriff genommen werden müsste. Wenn man in die kirchlichen Gremien vor Ort schaut, wer ist denn da in der Überzahl?
Nicht zuletzt auch das immer wieder in der Kritik stehende Zölibat. Hatte nicht Petrus als unmittelbarer Nachfolger Christi eine Schwiegermutter?

Vielen Dank für das Gespräch
Ich habe für Ihr Interesse an diesem emotionalen Thema zu danken.

Die Fragen stellte Alexander Berndt · Foto: privat

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