Menschen

Prof. Dr. Dr. Fuat Shamoun Oduncu erhält das Bundesverdienstkreuz

Almanya, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Prof. Dr. med. Dr. phil. Fuat Oduncu MA,EMB,MBA gehört zu den renommiertesten Ärzten in Deutschland. Er ist Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie und besitzt darüber hinaus die Zusatzbezeichnungen Palliativmediziner, Hämostaseologe und Ärztlicher Qualitätsmanager. Mit zahlreichen Preisen, Stipendien und Ehrungen wurde er ausgezeichnet, unter anderem mit dem Vincenz-Czerny-Preis der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) und dem m4-Award des Bayerischen Wirtschaftsministeriums und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Jetzt bekam der in Füssen aufgewachsene Onkologe das Bundesverdienstkreuz verliehen. „Für mich ist es eine Anerkennung und ein Zeichen – Du gehörst zu uns, Du bist ein Teil von uns. Es ist eine Wahnsinnsauszeichnung für Menschen mit Migrationshintergrund“, freut sich Prof. Fuat Oduncu.

Es war 1974, als Fuat Oduncu mit seiner Mutter und den fünf Geschwistern nach Füssen kam. Sein Vater war bereits 1970/71 als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und schickte monatlich Geld nach Hause. Letztendlich waren es die Einsamkeit und die Sehnsucht nach der Familie und der Wunsch, ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen, dass er sie 1974 nach Füssen holte. Fuat Oduncu kann sich noch gut an die erste Zeit erinnern. „Ich hatte eine wunderbare Kindheit. Wir spielten den ganzen Tag mit anderen Kindern Fußball. Es waren Türken, Italiener, Jugoslawen und auch Griechen dabei. Jeder sprach seine Sprache und das gemeinsame Spielen verband uns.“ Deutsch sprach er so gut wie gar nicht. „Wie denn auch. Wir lebten in der ‚Siedlung‘ wo nur Gastarbeiter mit ihren Familien wohnten. Wir waren unter uns. Deutsch lernten wir erst in der Schule und auf der Straße sprachen wir ein Durcheinander vieler Sprachen.“ Heute beherrscht der Arzt neun Sprachen. Seine Lieblingssprache aber ist seine Muttersprache Aramäisch, die er als Ministrant bei Pfarrer Cepe der syrisch-orthodoxen Gemeinde von Füssen zu lesen und schreiben gelernt hat.

Als er eingeschult wurde, war es nicht nur für ihn ein besonderer Tag, sondern auch für seine Eltern. „Sie selbst hatten noch nie eine Schule besuchen können. Dafür fehlten die finanziellen Mittel und die Möglichkeiten. Umso mehr waren sie stolz, dass wir Kinder in die Schule gehen konnten, sozusagen ein Privileg und zugleich der Schlüssel für ein besseres Leben. Davon waren sie fest überzeugt“, erzählt der heute 51-jährige Mediziner. Seine Eltern kommen aus Midiyat, einer Stadtgemeinde in Südostanatolien. Dort ist auch Fuat Oduncu geboren. Er lebte mit seinen Geschwistern, Eltern und den Großeltern in einem kleinen Haus mit drei Zimmern ohne fließendes Wasser und Elektrizität, als sein Vater beschloss, in Almanya, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, zu arbeiten. Er wollte sich und seiner Familie den Traum von Freiheit und einem guten Leben erfüllen.

Dass Fuat Oduncu aufs Gymnasium kam, hat er seinem Ehrgeiz und Lore Hain, die von allen Schülern und Schülerinnen liebevoll Tante Lolo genannt wurde, zu verdanken. Sie war Sekretärin am Gymnasium in Füssen. „In der vierten Klasse wurden ich und drei weitere türkische Kinder einfach übergangen. Wir bekamen keine Empfehlungen für weiterführende Schulen. Ohne Diskussion wurde beschlossen, dass wir auf der Hauptschule bleiben sollten. Das hat mich geärgert und ich fand es ungerecht. Ich entschloss mich in der 5. Klasse, eine Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium zu machen und ich ging wirklich ein Jahr später ins Sekretariat, um mich dafür anzumelden“, erzählt er. Selbst heute noch zaubert ihm die Geschichte ein Lächeln auf die Lippen. „Ich weiß nicht, ob es mein damals niedliches Aussehen war oder etwas anderes. Auf jeden Fall griff Tante Lolo nach dem Hörer und rief Max Häring an und sagte: Hallo Max, hier sitzt der kleine Fuat aus Südostanatolien und er will die Aufnahmeprüfung machen. Er muss das schaffen. Du musst gleich kommen.“ Lore Hain übte mit ihm Diktate und Aufsätze und Max Häring gab ihm Mathe-Nachhilfestunden. Er schaffte es, wiederholte die 5. Klasse und ab da ging es aufwärts. „Ich bin Tante Lolo mein ganzes Leben dankbar. Ohne sie hätte ich es nicht geschafft. Als ich den Brief für das Bundesverdienstkreuz erhalten habe, waren meine Gedanken und Dankbarkeit ganz lange bei ihr.“

Der Onkologe und Chefarzt am Helios Klinikum München West machte 1989 sein Abitur mit 1,0. Er war der erste nach vielen Jahren, der diesen Schnitt am Füssener Gymnasium erreichte. So genau wusste er allerdings nicht, was er studieren wollte. „Ich hatte Biologie als Grundkurs. Irgendwie reifte dann der Gedanke, Medizin zu studieren. Ich bewarb mich in Ulm und München und bekam von beiden eine Zusage. Ich entschied mich für München“, erzählt er lachend. Schließlich war FC Bayern dort zuhause, der Plattenladen WOM und nicht zuletzt McDonalds und das Olympiastadion, wo sein Lieblingsstar Michael Jackson auftreten würde. Für den damals 19-Jährigen waren es ausschlaggebende Kriterien, mit denen Ulm zu der Zeit nicht konkurrieren konnte.

Dass Fuat Oduncu nie ein Streber war, wissen seine Freunde nur zu gut. Vieles andere mehr war wichtiger als Schule, nämlich das Leben von seiner schönsten, sportlichen Seite zu genießen. Sein Spitzname war Fufu, Fuat mit den Fußballschuhen, die er, wo immer es auch möglich war, anzog. Das Gefühl ständig in Bewegung sein zu wollen, machte ihn zum Freund vieler anderer Sportarten wie Badminton, Basketball, Leichtathletik, Volleyball. Drei Mal war er sogar Allgäuer Meister im Breakdance. „Es war eine irre Zeit“, schwärmt er. Geld verdiente er sich nebenbei als Model für Nike und Hugo Boss und nahm Breakdance-Auftritte an. „Irgendwie lief alles parallel. Ich ging gerne zur Schule, weil ich die Schule und die Lehrer, allen voran Anton Schüßler, sehr mochte. Es war mir wichtig, während dem Unterricht aufzupassen, weil ich danach schlichtweg keine Zeit zum Lernen hatte.“ Heute ist seine älteste Tochter 19 Jahre alt und im Abiturjahr. „Es ist eine andere Zeit. Für Jugendliche ist das heutzutage richtig schwer“, ist sich der vierfache Familienvater, der mit der Diplom-Betriebswirtin Nahrin Oduncu verheiratet ist, sicher. Seine Frau stammt auch aus Midiyat. „Doch wie es der Zufall oder auch das Schicksal will, haben wir uns erst 2010 auf einer aramäisch-assyrischen Benefizveranstaltung in Augsburg kennengelernt.“

Das Studium

Dass er ohne finanzielle Probleme studieren konnte, lag daran, dass der ehemalige Konrektor seiner Schule, Dieter Schwarz, ihn bei der Studienstiftung des deutschen Volkes für ein Stipendium vorschlug. „Es ist eine überkonfessionelle Studienstiftung, das war mein Glück. Ich wurde zur Aufnahmeprüfung eingeladen und konnte sie überzeugen.“ Neben einem monatlichen Geldbetrag bekam er auch einen Mentor zur Seite gestellt, es gab Sommerakademien – all das und mehr begeisterte den jungen Studenten. „Jetzt darf ich von dieser Großzügigkeit etwas zurückgeben. Als ich meine Professur hatte, wurde ich von meiner damaligen Studienstiftung gefragt, ob ich ein Vertrauensdozent werden möchte. Ich habe 16 Stipendiaten, die ich als Mentor begleiten darf. Ich berate sie u.a. bei Auslandsaufenthalten und Doktorarbeiten“, erzählt er nicht ohne Stolz.

Durch das Stipendium war es ihm möglich, seinen Vater nicht finanziell zu belasten. „Natürlich hätte er mich unterstützt, wohlweislich, dass er noch mehr hätte arbeiten müssen. Aber er sagte immer, dass er stolz ist und dass wir das schaffen werden. Ich bin ihm so dankbar dafür. Ihm würde das Bundesverdienstkreuz zustehen. Doch er ist leider vor zehn Jahren gestorben. Er war und bleibt mein größtes Vorbild “ erzählt er mit einer brüchigen Stimme.

Das Medizinstudium faszinierte ihn, es war interessant und warf zugleich viele Fragen auf. Er kannte jedes Organ und wusste, wo es hingehörte. „Aber ich begann zu hinterfragen, was einen Menschen ausmacht und was der Sinn des Menschen ist. Das ließ mich nicht mehr los, bis ich zur Philosophie kam, die mir diese Fragen beantworten konnte.“ Parallel zu seinem Medizin-Studium beschloss der angehende Arzt Philosophie zu studieren. Er bekam das Studium genehmigt und ließ sich an der Jesuiten-Hochschule für Philosophie in München immatrikulieren. „Das, was die Medizin nicht beantworten kann, macht die Philosophie. Diese Angewandte Philosophie fand ich so interessant, diese medizinische Ethik, diese Verantwortung, die dahintersteht. Ich habe mir gedacht, dass müsste jeder Medizinstudent lernen. Doch jeder Dekan, dem ich das erzählte und für das Pflichtfach warb, winkte ab. Nachdem ich in Philosophie promoviert hatte, brauchte ich vier Jahre bis sich das Fach durchsetzte. Mit ein paar anderen haben wir das Curriculum geschrieben. Und jetzt lernt jeder Medizinstudent auch Medizinethik. Denn die Frage wird sich immer stellen: Sollen wir alles machen, was wir können, was darf ich und was nicht.“ Gemeinsam mit anderen Medizinern hat er deshalb eine Bandreihe über Medizinethik und Recht herausgebracht, in der viele medizinische und ethische Fragen beantwortet werden.

Trotz seiner vielen Titel und Auszeichnungen ist Prof. Dr. Dr. Fuat Oduncu greifbar für seine Mitmenschen geblieben. Oduncu versteht es mit ihnen umzugehen, sich in sie einzufühlen, denn „Krebs ist immer angstbeladen. Fragen wie ‚Doktor wie lange habe ich noch oder Muss ich sterben‘, sind sehr schwere Fragen. Für mich ist es wichtig empathisch zu sein. Ich bilde Studenten aus und Ärzte zu Krebsspezialisten. Man behandelt nie einen Krebs, sondern einen Menschen. Wenn man in ein Zimmer reingeht, dann darf es nicht der Brustkrebs von Zimmer 19 sein. Es könnte der eigene Vater, Opa, Mutter, Schwester betroffen sein. Was gut und sinnvoll ist, kann nur mit dem Menschen in Einklang gebracht werden, der da liegt. Das kann man nur, wenn man sich vom Patienten berühren lassen kann“, erklärt er. Der Onkologe weiß, wovon er spricht. Die Ängste hat er selbst durchgemacht. Seine Schwester erkrankte an Brustkrebs. Als angehender Arzt konnte er ihr nicht helfen. „Das war der ausschlaggebende Augenblick, der mich bewog, mich auf diesem Fachgebiet zu spezialisieren.“

Das Bundesverdienstkreuz

Am 25. September, am Tag vor der Bundestagswahl, kam der Brief von Markus Söder an. Und landete erst einmal ungeöffnet im Papiermüll. „Zusammen mit der Werbung von Lidl, Rewe und Aldi“, erzählt Fuat Oduncu und lacht. Der 51-Jährige hielt ihn für Wahlwerbung. Aber dann fischte er ihn doch noch mal aus dem Abfall – zum Glück. Denn darin stand: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier habe Oduncu das Bundesverdienstkreuz verliehen – auf Söders Vorschlag hin. „Ich habe es wirklich erst zwei Mal lesen müssen, um es zu begreifen. Es war eine unermessliche Freude. Ich hatte viele Auszeichnungen bekommen, aber an so etwas denkt man nicht, weil es so unerreichbar ist.“ Herzlichen Glückwunsch.

Text:Sabina Riegger · Foto: privat

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