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Aus meiner Sicht …

Große Fragezeichen in den Augen. Das war es, was ich bei Familie, Freunden und Bekannten gesehen habe, als ich ihnen mitteilte, dass ich Schulbegleiter bzw. Integrationshelfer werden möchte. Durchaus verständlich, denn ich bin mittlerweile ein knappes Jahrhundert alt und – unter uns gesagt – erstaunt darüber, wie rasant die Jahrzehnte im Schnellzug vorbeigeknattert sind. Eigentlich sollte man sich mit annähernd 50 Lenzen doch mehr oder weniger gemütlich in der Komfortzone seines aktuellen Jobs eingerichtet haben und sich langsam mit dem Gedanken befassen, wie man sein wohlverdientes Geld in der Rente verprassen wird (wenn es denn etwas zu prassen gibt). Und dabei immer wieder einen wohlwollenden Blick in die eigene Vergangenheit zurückwerfen (aber nicht zu lang, denn das belastet die Nackenmuskeln). Ja, so sollte es sein, oder? Wäre da nicht irgendetwas in einem, das da diese Zweifel säen würde. Etwas, das immer wieder die gleiche Frage stellt: „Ist es das für Dich?“ Und zwar so lange und ausführlich bis man schließlich – ohne selbst zu wissen, wie – zur Antwort gelangt: „Nein, da gibt´s noch was Anderes!“

Na gut, jetzt kann man den kleinen Störenfried in seinem Inneren ignorieren, ihn wieder in seinen Panik-Room einsperren, sich selbst wieder die rosa getönte Brille aufsetzen und weitermachen wie bisher. Sich quasi weiter durch seinen gewohnten – schlimmstenfalls auch ungeliebten – Job pflügen und jegliche Überlegung, sich anderweitig zu orientieren, ad acta legen. Ist doch schließlich viel einfacher, in bereits gespurten Pfaden vorwärts zu kommen.

Oder man beginnt, sich mit ihm auseinanderzusetzen, dem eigenen kleinen Störenfried. Man hört sich seine Einwände an und diskutiert mit ihm, auch auf die Gefahr hin, dass einem manche Antwort nicht gefallen wird. Oh, er ist trickreich, der kleine Störer. Jedes Ding im Leben hat seinen Moment. Und das weiß er, so passt er seine Thesen doch tatsächlich dem eigenen Alter an. Liefert in der Diskussion mit mir immer wieder neue – zeitgemäße – Argumente; zwingt mich, ganz subtil einen Rundumblick auf meinen aktuellen Status Quo zu werfen. Und stellt dabei immer wieder die eine Frage: „Ist es das für Dich?“

Listiger, kleiner und immer wieder überraschender Kerl! So hat mich der kleine Bengel im Laufe meines Lebens vom Allgäuer Süden in den hohen Norden, zur Marine gehen lassen. Sorgte danach wieder für einen Rück-Umzug in den Süden und den Einstieg in eine Bank. Nur, um mich abermals in einen neuen Job, in die Marketingassistenz zu führen. Vom hochkraxeln in die Wanten, über die Anlage-Beratung, hin zur kreativen Homepage-Mitgestaltung. Bis ihm – wieder mal – eingefallen ist, mir diese eine Frage zu stellen: „Ist es das für Dich?“

Ja, er hat mich davon überzeugt, einen neuen beruflichen Sinn für mich zu finden, eines meiner Hobbies (die ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe) zum Beruf zu machen. Und nun sitze ich hier am PC und pauke gemeinsam mit 20 MitkommilitonInnen auf dem Online-Campus das theoretische Handwerkszeug für den Schulbegleiter ein und freue mich schon auf meinen ersten Praktikumseinsatz, live direkt vor Ort!

Hasse ich oder liebe ich den kleinen fragenden Störenfried in mir? Beides irgendwie. Ohne ihn läge mein Lebensweg angenehm gespurt vor mir. Sozusagen von der Lehre zur Rente im gleichen Job. Aber mit ihm habe ich so viele tolle Sachen gemacht, spannende Menschen kennenlernen dürfen und meinen Erfahrungshorizont enorm erweitert. Also blicke ich zurück (nicht zu lange, wegen der Nackenmuskeln) und sage zutiefst dankbar zu ihm: „Ja, du hattest Recht, da gibt es noch mehr.“

Denn manchmal muss man einfach seine eigenen Spuren im Schnee ziehen, einen neuen Weg gehen und neues, unbekanntes Terrain erforschen. Wer nichts Neues ausprobiert, weiß gar nicht, was ihm alles entgeht. Irrwege inklusive, aber das ist das Leben.

Text · Foto: Harald Birkholz

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