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„Ich lebe beide Kulturen“

Eine Amerikanerin in Füssen

Es ist bemerkenswert, wie sich Traditionen halten können, und das noch über viele Generationen hinweg. Selbst Distanzen sind lediglich Messwerte in Meilen und Kilometern, die nichts mit der Sehnsucht nach der alten Heimat zu tun haben. Für die deutschen Auswanderer, die nach Amerika zogen, um dort ihr wirtschaftliches und oft auch privates Glück zu finden, war insbesondere das Brauchtum eine wichtige Stütze in einer neuen Welt. Es entstanden viele Trachtenvereine und die deutsche Sprache wurde gepflegt. So wie bei Theresa Neumann. „Noch bevor ich richtig laufen konnte, lernte ich bayerische Trachtentänze“, so die 35-Jährige. Ihre guten Deutschkenntnisse hat sie der deutschen Sprachenschule in Milwaukee zu verdanken. Die Stadt wurde geschichtlich bedingt stark von deutschen Einflüssen geprägt. Um 1880 waren ca. 27 % der Einwohner der Stadtbevölkerung gebürtige Deutsche. Theresa Neumanns Urgroßeltern zogen 1860 nach Milwaukee. „Ein Teil meiner Vorfahren kam aus Posen und Pommern, der andere Teil aus der Tschechei, Österreich und England und nicht zu vergessen auch aus Bayern. Ich bin eine wunderbare Mischung aus allem“, erzählt sie.

Heute lebt die 35-Jährige in Füssen. Für sie war die Lechstadt noch nie ein fremder Ort. Ganz im Gegenteil. „Ich kannte Füssen von unseren Besuchen als kleines Kind und Teenager. Wir waren mit unserem Trachtenverein hier und es entwickelten sich Freundschaften“, erzählt sie. Aus einer dieser Freundschaften wurde Liebe. Theresa Neumann zog ganz nach Füssen und heiratete. Seit neun Jahren ist das Allgäu ihr Zuhause. „Die Landschaft ist so ähnlich wie in Milwaukee. Nur solche Berge wie hier gibt es dort nicht“, meint sie. Das deutsche Leben kannte sie schon aus Amerika oder besser gesagt das Essen und so manche Gepflogenheiten. Dass man seine Meinung offen kund tut, hat sie am Anfang eher staunen lassen. „Bei uns gibt es ein Sprichwort, es heißt: If you don’t have something nice to say, don’t say anything at all. Das heißt, wenn man nichts nettes zu sagen hat, dann sollte man lieber nichts sagen. Deswegen war die deutsche Art für mich so erfrischend. Sachen, die ich dachte, aber nie gesagt hätte, sagen plötzlich andere. Ich hätte mich so etwas nie getraut.“

Dieses „deutsch sein“ wie es Theresa Neumann nennt, hat sie in Milwaukee anders gelebt. „Natürlich ist man deutschstämmig aber auch gleichzeitig Amerikanerin“, versucht sie zu erklären. Da sind zum Beispiel die Freitage, an denen man nur Fisch isst und auf der anderen Seite die amerikanischen Bräuche wie der Thanksgiving Day, den sie auch hier im Allgäu mit Familie und Freunden feiert. „Ich habe beide Kulturen in mir“, sagt die zierliche Frau mit einer Größe von 1,61 Metern. Was sie am Anfang vermisst hatte, war die Aufgeschlossenheit gegenüber Fremden. „Es ist schon irgendwie witzig. In Amerika war ich die Deutsche und hier bin ich die Amerikanerin. So einfach ist es nicht hier Freunde zu finden – ich glaube, es dauert hier länger bis dich die Menschen als einen von ihnen wahrnehmen. Und wenn man mit Männern Eishockey spielt, dann trifft man keine Frauen, um Bekanntschaften zu schließen“, lacht sie.

Theresa Neumann ist Eishockeyspielerin. Sie steht im Tor beim SV Hopfen und den Black Hawks in Buching. Bald auch beim EHC Ulm in der zweiten Liga. Dass sie die einzige Frau in den Männervereinen ist, scheint für sie und ihre Sportkollegen ganz normal zu sein. „Das ist es auch. Es zählt der Sport und nicht das Geschlecht“, sagt sie selbstbewusst. Zwei bis drei Mal in der Woche wird trainiert. Die Spiele nicht mitgezählt. „Wir sind alle Eishockeyfans, mein Freund Max und mein Sohn Leopold. Er ist bei der U9.“ In den USA war sie Turnierspringreiterin und gewann mit 14 Jahren ihren ersten Titel als Landesmeisterin, den sie sich noch zwei Mal holte. Mit 19 Jahren hörte sie mit dem Turnierspringen auf.

In den neun Jahren, seitdem sie in Füssen lebt, hat sie viel dazu gelernt. Wie zum Beispiel den Emotionen freien Raum zu lassen. Amerikaner sind da eher etwas zurückhaltender, sie betrachten vieles aus der Distanz, erklärt sie. Einmal im Jahr fliegt sie mit ihrem Freund und ihrem Sohn nach Amerika. Dieses Jahr war es nicht möglich. Sie hofft, dass ihre Eltern bald nach Deutschland kommen und sie sich ihre Altersruhezeit aufteilen. „Ich vermisse sie und für meinen Sohn wäre es auch schön, seine Großeltern für eine längere Zeit hier zu haben.“ Derweil wird sie sich ihrem neuen Hobby widmen, um mit Vater und Freund auf der Steyrischen zu spielen. Ein bisschen hat sie ja noch Zeit. Denn Perfektion und Ehrgeiz sind für die Harley Davidson-Fahrerin mehr eine Schwäche als eine Stärke, wie sie selber von sich sagt.

Text: Sabina Riegger · Fotos: privat

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