Menschen

Es ist mehr, als nicht nur laufen können

Im Portrait: Helmut Guggemos

Seit 42 Jahren sitzt Helmut Guggemos in einem Rollstuhl. Er hatte 1978 einen Motorradunfall. Seinen Beruf als Landwirt konnte er anfangs nicht ausüben. Technische Mittel gab es damals noch nicht. Erst sein Vater tüftelte an einer Hilfe, die es ihm ermöglichte, wieder Traktor zu fahren. Traktoren und Pferde sind für den 61-Jährigen ein großes Hobby. Unten im Bild der Erlkönig, ein Haflinger Fohlen, das aus seiner Zucht stammt.

Sommer ist seine Zeit. Da kann er schwimmen gehen. Denn schwimmen bedeutet für Helmut Guggemos ein Stück Freiheit. „Man ist schwerelos und frei von irgendwelchen Fesseln“, erzählt der Landwirt aus Erkenbollingen bei Füssen. Dass er wieder seinen Beruf ausüben kann, verdankt er einem Lift, der ihn in die Führerkabine hievt. Der Tag, an dem Helmut Guggemos im Jahr 1978 einen Motorradunfall hatte, war kein guter. Seitdem ist er vom siebten Brustwirbel an querschnittsgelähmt.

Kurz bevor er den Unfall hatte, war er mit seiner Ausbildung fertig. Für ihn war es klar, dass er Landwirt werden wollte. „Doch dann kam alles anders, und ich konnte mir mein Leben ohne meine Arbeit, ohne laufen zu können, nicht mehr vorstellen“, erzählt er. Zwei Jahre lang weigerte er sich, diese unwiderrufliche Veränderung anzunehmen. An jedem neuen Tag wurde ihm das Ausmaß seiner Querschnittslähmung bewusst. Und an jedem dieser Tage vergrub er sich immer mehr und mehr. Er ließ sich gehen, missachtete seinen Körper. Es ging ihm schlechter. Das Wort Perspektive gab es für ihn nicht. „Ich merkte, dass meine Familie darunter litt. Aber ich hatte keine Ahnung wie ich es hätte ändern können. Mein Vater half mir dabei“. Er war es auch, der ihm den Mut und die Zuversicht gab, dass es weitergehen kann. Man müsste es auch wollen und Helmut Guggemos wollte es, zwar noch etwas zögerlich. Doch von Tag zu Tag wurde das Verlangen, ins Leben zurück zu kehren, immer mehr. „Mein Vater bastelte mir eine Hilfe, damit ich wieder Traktor fahren konnte. Das war für mich so besonders. Ich konnte wieder arbeiten, ich war nützlich“, beschreibt er seine Gefühle. Seine eigene Landwirtschaft hat er vor einigen Jahren aufgegeben. Heute züchtet er Haflinger-Pferde, die sein ein und alles sind. „Rösser und Traktoren, das ist das Höchste für mich“ schwärmt er. Seinen Beruf als Landwirt kann er weiterhin ausüben. Sein Neffe ist froh um seine Unterstützung.

Dass er irgendwann einmal Basketball spielen werden würde, dachte er nicht. Und schon gar nicht in einem Rollstuhl. Auch hier lernte er umzudenken, dank Menschen, die es sich nicht nehmen ließen, ihn immer und immer wieder zu einem Training einzuladen. Doch so leicht, wie es sich anhörte, war es nicht. Das Training war in Kaufbeuren und Helmut Guggemos hatte keinen Führerschein und kein Auto. Er wollte niemanden zur Last fallen und über die Zeit anderer bestimmen. „Meine Schwester fuhr mich. Für sie war es eine Selbstverständlichkeit. Für mich nicht. Ich war sehr dankbar, weil mir der Sport zusagte. Es war sehr anstrengend und zugleich ein gutes Gefühl, sich anstrengen zu können, den Körper zu fühlen und Erfolge zu haben. In der Zeit habe ich auch angefangen, meinen Körper zu pflegen. Ich meine nicht das hygienische sondern auf ihn acht zu geben mit vernünftiger Ernährung, Sport, Ruhe …“ Bei den BSV Rollis fühlte sich der Füssener wohl. Sie maßen sich mit anderen Vereinen, unternahmen viele Ausflüge und spielten bei den Europameisterschaften mit. Mit dem Basketballspielen hat er aufgehört, aber nicht mit dem Sport. „Das ist immens wichtig für mich. Es ist gut für meinen Körper, Geist und Seele“.

Seine Erfahrungen gibt er weiter. Er engagiert sich ehrenamtlich in der Unfallklinik Murnau für Menschen, die eine Querschnittslähmung haben. „Ich kann ihre Ängste, Sorgen und auch ihre Wut verstehen“, so Guggemos, der auch Botschafter im Rahmen des Sozialforums war. Er gibt Hilfestellungen und zeigt Möglichkeiten auf. Denn Querschnittslähmung ist mehr „als nicht nur laufen“ können. „Es ist nichts wie es war. Es ändert sich alles: Angefangen von Partnerschaften bis hin zur Arbeit, Gesundheit, Freizeit, der Alltag, das Wohnen, Autofahren, … Damit muss man erst lernen umzugehen. Denn selbst das Einfachste wird zu einem Hindernis“, sagt der Füssener.

Kein Hindernis war die Liebe. Seit … Jahren ist er glücklich verheiratet und dankbar, eine tolle Frau kennengelernt zu haben.

Text · Fotos: Sabina Riegger

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