Menschen

Ich bin ich

Wenn Fabio an seine Teenagerzeit zurückdenkt, sind es Gefühle, die er keinem wünscht. Der 25-Jährige war in seinem Körper gefangen. Viele Jahre wusste er nicht, was mit ihm los war oder wie er seine Gefühle in Worte fassen konnte. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Erst durch eine Reportage im Fernsehen wusste er endlich, wie er seinen Gefühlszustand und dieses Unwohlsein benennen konnte.

Er war trans, sozusagen im falschen Körper zur Welt gekommen. „Damals war ich 13 Jahre alt und endlich wusste ich, was mit mir nicht in Ordnung war. Diese Ungewissheit hatte jetzt ein Ende und gleichzeitig begannen die Sorgen darum, wie es meine Umwelt aufnehmen würde“, erzählt er. Lange hat das Coming-Out gedauert. Das Wechselbad der Gefühle auch. Zwischen Depression, Zurückgezogenheit und sich dagegen sträuben dauerte sechs Jahre. „Es war eine Zeit, die mich psychisch an meine Grenzen gebracht hat. Ich dachte, ich muss mich so anziehen wie eine Frau, schminken, Kleidung, eben alles, was eine Frau äußerlich ausmacht. Ich hielt es dann zwei Wochen aus und brach danach regelrecht zusammen. Ich war das nicht. Ich war keine Frau und wollte es nie sein. Mein inneres Empfinden passte nicht mit meinem Körper überein. Ich wollte diese Rolle nicht mehr spielen“, so Fabio. Trans war für ihn das Wissen, dass die Natur sich bei ihm in der Verpackung geirrt hat.

„Irgendwann kam der Zeitpunkt wo ich dachte, ich muss mich outen, weil ich sonst daran zerbreche“, blickt der Deutsch-Italiener zurück. Er nahm Kontakt zu Trans-Ident e.V. in München auf. Es ist eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit transidentem Empfinden, also Menschen, die körperlich entweder dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht angehören, sich jedoch als Angehörige des anderen Geschlechts empfinden. Sie beraten Transsexuelle und deren Angehörige und bieten ihnen Hilfe an. „Ich bekam die Adresse einer Selbsthilfegruppe in Kempten. Anfangs mochte ich da nicht hingehen. Ich wollte keinen Stuhlkreis, sondern Antworten auf meine Fragen“, erzählt Fabio. Rückblickend ist er froh, diesen Schritt gegangen zu sein, weil er sich endlich mit Menschen unterhalten konnte, die das Gleiche durchmachten wie er.

„Als ich psychisch ganz unten war, entschloss ich mich dann letztendlich zu dem Schritt mich zu outen. Ich habe dann eine Whats App verfasst, in der ich das schrieb, was ich bin. Ein Transgender. Ein Mann, der im Frauenkörper steckte und aus dem endlich rauskommen wollte und verschickte es an meine Familie und Freunde. Ich wollte ihnen nicht gegenüberstehen, sondern eine räumliche Distanz bewahren“, beschreibt er sein Coming Out. Das war 2016, da war er 21 Jahre alt. Dass er so viel positive Rückmeldung bekommen würde, damit hat er nicht gerechnet. „Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich war so glücklich. Das war einfach nur krass.“

Nur seine Mutter reagierte nicht sofort so, wie er sich das wünschte. Sie war geschockt und dachte, es sei nur eine Phase. „Ich habe sie verstanden. Mein erster Gedanke war: Ist doch klar Fabio, du erklärst gerade deiner Mutter das du kein Mädchen, sondern ein Junge bist. Sie hat 21 Jahre lang eine Tochter gehabt. Lass ihr Zeit. Ich habe ihr Zeit gelassen und ich bin ihr so dankbar, dass sie mich überallhin begleitet“, sagt der 25-Jährige glücklich.

Die erste Hürde für sein neues Leben war überstanden. Jetzt waren die Formalitäten dran. Einen Psychologen suchen, der ihn durch den vorgeschriebenen 18-monatigen Zeitraum begleitet. Die Therapie soll helfen, die Situation besser zu bewältigen. Wer eine Personen- und Namensänderung will, muss tief in die Tasche greifen und Gutachten erstellen lassen. Dafür stellte er einen 120-seitigen Antrag für den Gerichtskostenerlass, den er auch genehmigt bekam. Mit den Gutachten bekommt man dann auch gleichzeitig die Bestätigung zum Endokrinologen oder zum Arzt seines Vertrauens zu gehen, um die Hormone bekommen zu können. Gleich zu Beginn seiner Geschlechtsumwandlung ließ sich Fabio die Brüste, Gebärmutter und die Eileiter in einer Spezialklinik in Hamburg herausnehmen. „Das sind Organe, die weibliche Hormone ausschütten. Für mich sollten sie auf jeden Fall entfernt werden“, erzählt er. Viele andere in seiner Situation lassen sich die Eier einfrieren, um später ein eigenes Kind bekommen zu können, das auch die gleichen Gene hat. Für Fabio kam es nicht in Frage. „Es ist gut, so wie es ist.“

Bei der geschlechtsangleichenden Operation ging er durch die Hölle. „Es war das erste Mal, dass ich sagte, ich kann nicht mehr. Hier ist es jetzt Schluss“, blickt er zurück. 64 Tage lag er im Krankenhaus. Es gab Komplikationen. Der Aufbau seiner Geschlechtsangleichung war nekrotisierend und eine Thrombose wurde in einer Not-OP entfernt. „Ich war so froh, dass meine Mutter und meine Freundin da waren.“

Das alles ist fast vorbei. Ein paar kleinere OP’s stehen ihm noch bevor. „Das sollte ein Klacks sein“, ist er zuversichtlich. „Ich kann es gar nicht in Worte beschreiben, wie ich mich fühle. Letztes Jahr war ich in Ägypten im Urlaub. Ich konnte mich ausziehen und schwimmen gehen. Das habe ich früher nie gemacht. Was für andere ganz selbstverständlich war, war für mich damals eine Tortur. Jetzt bin ich endlich frei. Meine Familie sagt, du hast zwar früher auch gelacht, aber du hattest nicht diese Ausstrahlung wie jetzt. Du bist ein ganz anderer Mensch.“, erzählt er von seinem Lebensgefühl.

Fabio möchte mit seiner Geschichte anderen Mut machen, ihren Weg zu gehen. „Es ist ein Lebensgefühl, das nicht in Worten zu beschreiben ist“.

Text · Foto: Sabina Riegger

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