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Corona ist das Eine, Depression das Andere

Seit der Corona-Zeit trauen sich viele Patienten nicht in eine Arztpraxis oder in eine Notaufnahme zu gehen. Die Angst, mit dem Virus infiziert zu werden, ist groß. In manchen Fällen kann das zu schlimmen gesundheitlichen Konsequenzen führen. Dr. Christian Stenner, Hausarzt und Psychotherapeut, kennt dieses Dilemma der Patienten. „Wir hatten jetzt schon Situationen, wo Patienten mit Herzproblemen aus Angst, sie könnten sich mit Corona infizieren, nicht in die Praxis oder auch teilweise zu spät kamen. Patienten, bei denen eine manifeste Rhythmusstörung vorliegt und auch behandlungsbedürftig sind, kommen nicht“, beschreibt der Füssener Arzt die derzeitige Situation. Etliche Arztpraxen mussten deshalb Kurzarbeit anmelden und haben Umsatzeinbußen. Seine Sprechstundenzeiten sind nicht gekürzt. „Unsere Sprechstundenzeiten haben wir bewusst nicht eingegrenzt. Das haben wir im Team auch so besprochen und wir versuchen, den Betrieb so aufrecht zu erhalten. Wir haben alles darangesetzt, um die Gefährlichkeit soweit zu minimieren, wie es nur möglich ist“, fügt er hinzu. Der Wartebereich ist vergrößert, Nasen- und Mundschutz gilt für das gesamte Praxisteam. „Ich denke, dass es bei uns relativ sicher ist, sicherer als beim Einkaufen, denn da haben Sie die Infektpatienten viel eher noch mit dabei. Und mit dem Infektmobil versuchen wir, die ganzen Infektionspatienten auszulagern“, erklärt der Mediziner. Dr. Christian Stenner ist der Mit-Initiator des Infektmobils, das am Parkplatz am Festspielhaus steht. Wir sprachen mit dem Arzt über Menschen, die in Depressionen verfallen, die gute Zusammenarbeit unter den Füssener Ärzten und warum es das Infektmobil gibt.

Ist das Infektmobil das Resultat, weil sich Patienten nicht mehr in die Arztpraxen trauen?
Nein. Ich hatte mit dem Gesundheitsamt telefoniert. Dabei kam heraus, dass ein Infektmobil geplant ist, und ob wir nicht zusammen mit den hausärztlichen Kollegen unterstützend tätig sein wollen bei den COVID-Abstrichen. Für beide Seiten ist es nun eine Win-Win Situation. Wir lagern sämtliche Patienten mit Infektionserkrankungen dahin aus, machen die Abstriche und bekommen im Gegenzug das Infektmobil und die Schutzkleidung zur Verfügung gestellt. Es ist genügend Material zur Untersuchung da. Wir können CRP-Schnelltests machen, also Entzündungstests vornehmen. Ein Patient, der zum Infektmobil kommt, braucht eine Diagnostik, die wir anbieten können. Das zeichnet uns im Vergleich zu anderen Städten wie Kempten und Immenstadt aus. Ganz wichtig: Die Patienten gehen nicht unkoordiniert zum Infektmobil. Sie müssen vorab immer Kontakt mit dem Hausarzt aufnehmen. Wir geben ihnen eine Nummer und einen Termin, wann sie kommen können.

Wie ist die Zusammenarbeit unter den Ärzten?
Die Zusammenarbeit ist sehr gut. Generell ziehen alle an einem Strang und es wird gut angenommen. Wir haben unsere Füssener WhatsApp-Gruppe, innerhalb der wir uns austauschen. Auch wenn es Neuigkeiten gibt vom Robert-Koch-Institut, wie neue Handlungsanweisungen, neue Abrechnungen, wenn es Material gibt, das verteilt wird. Da sprechen wir uns ab. Man hilft sich gegenseitig, es gibt sehr viel Solidarität.

Wie viele Tests haben Sie bisher durchgeführt?
Das kann ich nicht überblicken. Das waren etliche, auch viele positive darunter. Es ist schon so, dass wir momentan mit dem Virus konfrontiert werden.

Wie gehen Sie mit der Situation um, haben Sie Angst?
Angst würde ich nicht sagen. Eher, dass ich mir Sorgen mache, eventuell meine Familie anstecken zu können, trotz strengster Vorkehrungen.

Haben sich bei Ihren Patienten die Depressionen vermehrt?
Ja, definitiv. Menschen, die schon nervlich vorbelastet sind, denen geht es jetzt deutlich schlechter. Wir haben viel mehr schwere Depressionen, aber auch Depressionen, die sich gravierend verschlechtern und auch Panikattacken nehmen zu. Stand letzter Freitag (Anm. der Red.: 17. April) sind die Fallzahlen um 30 bis 40 Prozent gestiegen.

Welche Art von Panik?
Beklemmungsgefühle, unspezifische Angst, raus zu gehen, die Angst, einkaufen zu gehen und gleichzeitig diese Einsamkeit und die Hilflosigkeit, die damit einhergeht.

Welche Hilfsmöglichkeiten bieten Sie an?
Wir versuchen die Leute zu stabilisieren, letztendlich auch medikamentös, und wir haben eine Möglichkeit geschaffen, mit ihnen enger in Kontakt zu bleiben, und zwar mit einer Videosprechstunde. Dadurch haben wir viele psychotherapeutische Kurzkontakte. Da reicht es aus, mit dem Patienten ein 15 bis 20 Minuten langes intensives Gespräch zu führen, um ihn zu stabilisieren.

Das heißt, die Patienten kommen nicht mehr in die Praxis?
Wenn es noch geht, dann ja. Viele, die Angst haben, denen ist die Videosprechstunde momentan lieber.

Gibt es auch Fälle, bei denen Sie sich Gedanken machen, dass jetzt jemand suizidgefährdet wäre?
Ja, das überprüfen wir immer. Wie schon erwähnt, müssen wir jetzt auch öfter Psychopharmaka zu Hilfe nehmen.

Welche Menschen sind gefährdeter, Singles oder auch Menschen, die mit ihrer Familie zusammenleben?
Sowohl… als auch. Die häusliche Gewalt hat zugenommen, das bekommen wir auch mit und müssen dementsprechend reagieren. Manchmal auch das Jugendamt um Hilfe bitten.

Was würden Sie jemandem empfehlen, der Angst und Panik hat?
Das Wichtigste, worauf wir schauen, ist, wie viele Sozialkontakte aktiviert werden können. Viele trauen sich das nicht zu. „Den hab ich schon so lange nicht angerufen, da kann ich doch nicht…“ heißt es dann seitens der Patienten. Da sag ich: „Doch, machen Sie das mal, dann sehen wir, wie es Ihnen danach geht.“ Die Empfehlung ist also relativ einfach, aber sehr hilfreich. Denn in dem Moment, in dem wir den Betroffenen ins soziale Netz wieder einbinden können, hat er auch seelische Erleichterung. Und häufig kommt dann das raus: „Ja, ich leide auch, und du leidest auch…“. Und „Ich-sitze-nicht-allein-in-diesem-Boot.“

Vielen Dank für das Gespräch und bleiben Sie gesund.
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und bleiben auch Sie und Ihr Team gesund.

Text · Foto: Sabina Riegger

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