Kolumne

Igor

Es gibt ein griechisches Wort, das die innere Umkehr und die Veränderung der eigenen Lebensauffassung hin zu einer neuen Weltansicht beschreibt. Ich finde, es ist ein wunderschönes Wort: Metánoia.

Und noch viel schöner als die Intonation von Metánoia ist, dass ich weiß, wie gut es sich anfühlt.

Ich muss dabei an Igor denken, einen knapp zwei Meter großen Mann Mitte 50 mit großem Bauch, Dreitagebart, Glatze und einem herzerwärmenden Lachen. Seine Frau Christina ist halb so groß wie er. Zierlich und neben Igor fast unscheinbar. Ihre hellen Locken trägt sie zusammengebunden. Die beiden rauchen viel. Der blaue Zigarettenqualm hüllt sich wie ein Schatten um die beiden, als Igor mit rauer Stimme zu mir sagt: „Weißt du, die Leute halten uns für Sinti, weil wir wohnen, wie wir wohnen“.

Er zeigt auf den alten Wohnwagen hinter ihm. Fast hätte ich ihn hinter dem großen, dunklen Vorzelt und den vielen Sachen drumherum übersehen. Da stehen ein altes Radio, ein großer Holztisch mit zwei Sitzbänken, Teppichläufer, Werkzeug, Aprikosenkisten, Kabel, getrocknete Paprikaschoten, Flaschen.

Als ich Igor vor ein paar Tagen das erste Mal gesehen habe, kam er gerade mit einem ein Meter langen Aal in der Hand aus dem Meer. Spätestens jetzt war ich mir ganz sicher, nie mit ihm ins Gespräch kommen zu wollen. Ich sah keine Gemeinsamkeiten zwischen uns.

Aber ich lag falsch. Der kleine Prinz sagte einmal: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.“

Ich sah einen skrupellosen Riesen, einen Kettenraucher, einen Chaoten, einen unsympathischen Mann in viel zu enger Badehose.

Ich sah keinen hilfsbereiten Menschen, keinen herzlichen. Ich sah keinen Mann, der alles verlor und trotzdem an das Gute glaubte. Ich sah niemanden, der die Natur respektiert und im Einklang mit ihr lebt. Ich sah keine Empathie, keine Verbundenheit.

Viele Tage und Gespräche später sah ich einen anderen Igor.

„In Mazedonien sagt man: Alte Steine erzählen alte Geschichten“, erzählt er und spricht weiter: „Das, was die Leute in einem sehen wollen, ist nicht wichtig. Wichtig ist, mit Stolz zu sehen, wer man in Wahrheit ist.“

Metánoia- Das ist ein gutes Gefühl.

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