Kolumne

Der Sprung

Ich hatte Badeschuhe an. Ausgebleichte schwarze Treter mit Gummizug und Noppen-Sohle. Außer mir, hatte niemand sonst Badeschuhe an. Nicht einmal der alte Herr auf dem Felsen nebenan. Seine Haare waren schneeweiß und sein getrimmter Schnauzer war schwarz, wie der einzig unversehrte Teil meiner Badeschuhe.

Seine lilane Badehose saß stramm. Sein Blick noch strammer. Ein bisschen sah er aus, wie jemand der beim Boule am Strand schummelt. Und das einzige an ihm, das strahlte, war sein goldenes Kreuz am Hals.

Wir beide standen auf unterschiedlichen Felsen über dem Meer. Vor uns war Nichts, außer endloser Weite, und ein großes Ego.

Ich stand hier oben auf dem Felsen, am nördlichsten Zipfel einer winzig kleinen Mittelmeerinsel, und wusste, ich war der Antichrist der Badegäste hier.

Das konnte ich spüren.

Mich nämlich, hielten Noppen auf dem Felsen, ihn hingegen, seine kleinen festen Zehen, die mit der rauen, spitzen Oberfläche des Felsen verschmolzen, wie zwei Verliebte.

Selbstbewusst stütze er seine Hände in die Hüften und aalte sich in der Mittagssonne.

Er war wie Jan Hofer, nur älter und in der Balkan Version: Ein bisschen kantiger, haariger, dunkler, selbstbewusster.

Und er wusste, wie er auf andere wirkte. Auch auf mich. Er genoss es.

Schon klar, er war der Einheimische. Der naturverbundene. Der, der wie alle anderen auch, die Felsen und Steine ohne Badeschuhe bezwingt. Schmerzbefreit, konzentriert und stolz wie ein Fakir bei seine Scherben – Nummer stand er also neben mir und beäugte mich und meine schwarzen Treter.

Er hatte keine Ahnung, wie falsch er lag, als er auf der Landessprache einem anderen zu rief: „Sie wird nicht springen!“

Ich sah rüber, zu Jan-Balkan-Hofer, und antwortete zu seiner großen Verwunderung, auf der Landessprache: „Doch, das wird sie!“

Mein Herz raste, mein Bauch kribbelte wie verrückt und ich schrie wie ein kleines Mädchen…

Ich sprang.

Und es war großartig. Ich war eins mit dem Meer und eins mit mir selbst. Ich war überglücklich und das Gefühl, verinnerlichte ich.

Inzwischen sind einige Wochen vergangen. Und vor kurzem bin ich 30. Jahre alt geworden. Ich hatte Angst und auch Respekt vor dieser Zahl, vor dem neuen Kapitel, den Herausforderungen , vor möglichen Ansprüchen. Ich denke an ein Zitat von Maurice Chevalier, er sagte: „Je älter man wird, desto ähnlicher wird man sich selbst.“ Das ist wie mit meinen Badeschuhen. Alles ist möglich. Und das ist großartig.

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