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Julius Desing

Im Gespräch mit dem ehemaligen Neuschwanstein-Verwalter

Für Julius Desing war er eine Ikone, ein Mann den er vergöttert, verehrt und der letztendlich auch zu seiner Lebensaufgabe wurde. Über 30 Jahre war Desing Verwalter vom Schloss Neuschwanstein, das heutzutage jährlich über 1,5 Millionen Besucher zählt. Sie kommen von überall her, um sich das Märchenschloss anzuschauen. „Für mich war es die schönste Zeit meines Lebens. Es war mir eine Ehre, als Untermieter König Ludwig II. gewesen zu sein”, so Desing.

Angefangen hat alles 1968, als sein Vertrag beim Landesentschädigungsamt auslief, wo er als Spezialist für Widerufsbescheide arbeitete. „Ich musste mir was Neues suchen. Ein Kollege sagte mir, dass im Bereich Finanzen die Stelle des Schlossverwalters frei wäre. Da habe ich mich beim damaligen Präsident der Schlösserverwaltung, Freiherr von Guttenberg beworben. Er war auch Regensburger. Ich habe ihn sehr geschätzt, und er war ein sehr guter Fachmann, ein Idealfall. Als er starb, wollte jeder Präsident werden, die nicht wirklich eine Ahnung von der gesamten Materie hatten“. Julius Desing weiß und wusste, dass er mit seinen Aussagen manchmal aneckte und sich keineswegs damit Freunde machte. „Ich habe noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Wenn etwas nicht gut war, habe ich es gesagt“, erzählt der Oberpfälzer.

Heute ist der Hobbyhistoriker 91 Jahre alt und hat einige Schlaganfälle hinter sich. „Des isch an zäher Hund“, würden die Allgäuer bewundernd sagen. Für Desing ist das alles andere als bewundernswert. Früher, als er noch jung war, wäre das anders gewesen. Doch heute? Dass er eine Ausdauer hat, liegt in seinem Naturell. Sich immer wieder neu fangen und einen Schritt nach dem anderen zu tun, auch mit 91 Jahren, ist noch möglich. „Manchmal habe ich Wortfindungsstörungen. Es hätte aber schlimmer kommen können“, so sein Resümee. Dass er wieder sprechen kann, verdankt er den Schwesternschülerinnen in seinem Seniorenheim, das einem Rehabilitationszentrum angegliedert ist. Sehen kann Julius Desing nicht mehr oder nur ganz wenig. „Das ist sehr schade, weil ich früher eine Leseratte war“. Ganz auf Bücher, Zeitungen und Fernsehen will der König Ludwig II. Kenner nicht verzichten. „Ich bekomme alles mit, was mich interessiert“. Möglich ist das mit Radio und Audiodescription.

Als der Oberpfälzer nach seiner Pension in seine Heimatstadt Regensburg zog, war er alles andere als erfreut darüber. „Ich wollte nicht in Pension gehen. Ich hätte gerne weiter gearbeitet. Das durfte ich aber nicht. Der bayerische Staat hat es mir verwehrt“, sagt er immer noch etwas aufgebracht. Dass er mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen musste, hat er der Schlösserverwaltung auch nach 26 Jahren nicht verziehen. Auch nicht, dass er seine goldene Hochzeit im Schloss nicht feiern durfte und erst recht nicht die Meldung, dass der Grundstein vom Schloss Neuschwanstein gefunden wurde. „Den Fund habe ich schon während meiner Zeit als Verwalter gemeldet. Der Füssener Fotograf Ludwig Schradler machte fast jeden Tag eine Aufnahme vom Bau. Unter jedem Bild war das Datum vermerkt. Das Besondere war, dass die meisten Fotos vom selben Standpunkt aus fotografiert wurden. Von seinen Fotos wusste ich, wo der Grundstein gelegt wurde. Der Schwangauer Dorfschullehrer Alois Left hielt alle Bilder von Schradler fest und schrieb alle wichtigen Ereignisse nieder. Es ist eine ausführliche und gute Chronik. Aus dieser habe ich mir die interessanten Bilder herauskopiert und fotografiert. Und jetzt, genau zum 150. Jubiläum des Schlosses, finden sie plötzlich den Grundstein“, so Desing. Das will und kann der 91-Jährige nicht verstehen. Dass sich andere mit seiner Aussage auf den „Schlips“ getreten fühlen könnten, ignoriert Julius Desing. Stattdessen erzählt er von seinen Kollegen, mit denen er lange Zeit noch guten Kontakt hatte. „Einige gibt es nicht mehr. Ich bin einer der ewig Überlebenden“, sagt er.

50 Jahre war er im Staatsdienst angestellt und 52 Jahre mit seiner Frau verheiratet. Als sie nach Regensburg zurückzogen, kaufte Desing ein Haus mit einem 2000 Quadratmeter großen Grundstück. Eine Mietwohnung wäre weder für ihn noch für seine Frau in Frage gekommen. „Ich hätte mich eingesperrt gefühlt“, sagt Desing. Doch trotz der Größe des Hauses fiel beiden die Umstellung sehr schwer. Das Haus war schließlich kein Schloss. „Meine Frau ist zwischenzeitlich gestorben. Ich habe Erinnerungen, die wunderschön sind, und die mir keiner wegnehmen kann“. Nach ihrem Tod lebte er noch 18 Jahre in dem gemeinsamen Haus, bis er in sein jetziges Seniorenheim zog. „Meine Bezugspersonen kommen aus Kasachstan, Polen, Tschechei, da ist es mit der Verständigung etwas schwierig. Aber in der heutigen Zeit ist das so. Trotzdem fühle ich mich hier sehr gut betreut“, so der Regensburger. Julius Desing hat keine Wünsche mehr. „Vielleicht nette Gespräche, so wie mit Ihnen“, sagt er.

Text: Sabina Riegger · Foto: privat

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