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Grundsteinlegung einer bayerischen Ikone

Jedes Jahr verzaubert das berühmteste Schloss König Ludwigs II. von Bayern, Schloss Neuschwanstein, ca. eineinhalb Millionen Gäste aus allen Ländern der Erde. Dabei ist dieses Schloss nicht nur ein geschichtsträchtiger Ort und Touristenmagnet, es ist auch Werbeikone, Filmkulisse und das Aushängeschild für Bayern. Schloss Neuschwanstein ist ein Allroundtalent.

Bei der Grundsteinlegung, die sich heuer zum 150. Mal jährt, ahnte noch keiner etwas von der zukünftigen Popularität. Am 5. September 1869 um 9 Uhr morgens versammelten sich einige Herren, ohne die geringsten Feierlichkeiten auf der königlichen Baustelle der „Neuen Burg“. Anwesend waren der königliche Hofbaurat Eduard Riedel als Architekt des Schlosses, Quartiermeister Büttner, der den königlichen Kabinettssekretär Düfflipp vertrat, Bauführer Heinrich Herold und einige wenige Arbeiter. Sie setzten den weißen Grundstein, der aus den Marmorbrüchen des Untersbergs bei Salzburg stammte, auf der Pöllatseite in den Unterbau des entstehenden Schlosses ein. Der Grundstein wurde mit einem Bauplan des Schlosses auf Pergament, einem dreifach-Bildnis König Ludwigs II., und allen Gold- und Silbermünzen, die während seiner Regierungszeit geprägt waren, versehen. Der König selbst war nicht zugegen. Er hielt sich im Schloss Berg am Starnberger See auf. Dass Ludwig II. der Grundsteinlegung nicht beiwohnte soll jedoch nicht bedeuten, dass ihm dieser Schlossbau nicht außerordentlich wichtig gewesen war. Der vierundzwanzigjährige Monarch konnte es kaum erwarten sein Schloss zu beziehen. Wie wichtig ihm dieses Bauvorhaben war, liest man u.a. in einem Brief des Königs an Richard Wagner: „Ich habe die Absicht, die alte Burgruine Hohenschwangau bei der Pöllatschlucht neu aufbauen zu lassen im echten Style der alten deutschen Ritterburgen, und muß Ihnen gestehen, daß ich mich sehr darauf freue, dort einst (in 3 Jahren) zu hausen; (…) Auch Reminiscenzen aus Tannhäuser, aus Lohengrin werden Sie dort finden; (…)“
Die deutsche Sagenwelt, die Welt der Ritter interessierte und faszinierte ihn von Kindesbeinen an. Schon bei den Mahlzeiten im Speisesaal des Schlosses Hohenschwangau konnte er die Gemälde über den Schwanenritter Lohengrin bewundern, dessen Geschichte ihn in seinen Bann zog. Nach und nach reifte in Ludwig der Wunsch, eine Ritterburg erbauen zu lassen. 1866, zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt, besuchte der junge König zuerst die Wartburg und einen Monat später das Schloss Pierrefonds in Frankreich. Beide Burgen waren von ihren neuen Besitzern im Stil des Historismus wiederaufgebaut worden. Diese Schlösser gaben schließlich die Initialzündung zum Bau einer Ritterburg. Zuerst plante Ludwig jedoch keinen Neubau. Er wollte ganz in der Tradition von Wartburg und Pierrefonds, einer echten mittelalterlichen Burgruine neues Leben einhauchen. Wie passend, dass ganz in der Nähe seines geliebten Schlosses Hohenschwangau, auf einer Anhöhe nahe der Pöllatschlucht, die Ruinen der Burgen Vorder- und Hinterhohenschwangau thronten. Zwei Burgen der Ritter von Schwangau, die Mitte des 19. Jahrhunderts nur noch in Mauerfragmenten erhalten waren. Schon in Ludwigs Kindheit besichtigten er, sein Bruder Otto und seine Mutter des Öfteren diese alten Mauern. Die Aussicht in die Pöllatschlucht mit dem gewaltigen Wasserfall auf der einen und dem Blick in das weite Land auf der anderen Seite beeindruckte ihn schon immer. Eine dieser Burgen wollte er wieder aufbauen lassen. Um sich über die erhaltene Bausubstanz ein Bild zu machen, wurden die Mauerreste der Ruinen von Schutt und Erdreich befreit und die zukünftige Baustelle auf ihre Tauglichkeit untersucht. Doch schnell war klar, dass das was sich der König wünschte, hier nicht zu verwirklichen war. Die Ausmaße jeder Ruine waren für das geplante Bauvorhaben schlichtweg zu klein. Also entschied man sich dafür, das gesamte Plateau des Neudecks zu nutzen. Dazu mussten umfangreiche Erdbewegungen getätigt werden. Es wurde gesprengt.

Die Allgemeine Zeitung schrieb dazu bereits ein Jahr vor der Grundsteinlegung im September 1868:
„Bayern. Hohenschwangau. Die friedliche Stille dahier wird in neuester Zeit täglich zweimal durch ein alarmierendes Geräusch unterbrochen, welches uns plötzlich in die Nähe eines Schlachtfeldes zu versetzen scheint. Es rührt dieß von den Felsensprengungen her, welche für den projectierten Bau des neuen Schlosses stattfinden. Bekanntlich soll dieser neue Bau an der Stelle errichtet werden, wo ehemals die alte und eigentliche Burg Hohenschwangau stand. Während der auf der waldigen Höhe der Bergkuppe am Alpsee sich erhebende Schwanstein längst zu einem schönen und wohnlichen Aufenthalt für die königliche Familie umgestaltet ist, blieben vor der alten und eigentlichen Burg Hohenschwangau nur die spärlichen Trümmerreste auf den vor dem großartigen Pöllatfall sich erhebenden Felsen als historisches Denkmal stehen. Um den Bau des neuen Schlosses, welches hier sich erheben soll, zu ermöglichen, finden seit nunmehr länger als einem Monat täglich zweimal – mittags gegen 12 Uhr und abends gegen 18 Uhr – Felssprengungen statt, deren gewaltiger Widerhall von den Bergen die weite Umgegend mit einem donnerähnlichen Krachen erfüllt. Von der auf schwindelnder Höhe über den Pöllatfall führenden Marienbrücke kann man um die angeführte Zeit jene Sprengungen vollständig und gefahrlos mit ansehen. Nachdem die etwa hundert Arbeiter den Platz verlassen haben, werden von den letzten zurückgebliebenen die Lunten angelegt. Die drei oder vier Männer, welche dieß auszuführen haben, flüchten dann schleunigst hinter die Ruinenreste hinab, worauf die Explosionen erfolgen, welche – mit den emporschießenden Rauchsäulen und Stein-Fontänen – vulcanischen Ausbrüchen gleichen. Obwohl schon seit fünf bis sechs Wochen diese Sprengungen täglich fortgesetzt werden, ist doch noch zur Ebnung des Bodens viel Arbeit übrig, daß wohl ein Monat erforderlich ist, bis die Sprengungen vollendet sein werden, um den Bau beginnen zu können.“

Acht Meter Fels inklusive der Mauerreste der beiden Burgen mussten dem neuen Schloss weichen. Die Sprengungen wurden bis weit in den milden Winter hinein fortgeführt. Ebenfalls im Jahr 1868 legte man die Fahrstraße und eine Wasserleitung zur neuen Baustelle an. Sobald es das Wetter im darauffolgenden Jahr, 1869, zuließ, wurde mit den Bauarbeiten zur Neuen Burg begonnen. An der Stelle, an der am 5. September der Grundstein gelegt wurde, war bereits das Fundament des Schlosses angefertigt.

Zwei Tage nach der Grundsteinlegung, am 7. September, kam der König nach Hohenschwangau. Wann immer er konnte, verschaffte er sich mit eigenen Augen einen Eindruck vom Fortschreiten der Bauarbeiten. Zu diesem Zweck ließ er sich in seinen Räumen im Alten Schloss ein Fernrohr aufstellen. So hatte er die Möglichkeit, wann er wollte, die Baustelle beobachten zu können. Ein Foto der alten Ruinen Vorder- und Hinterhohenschwangau sowie ein Baustellenfoto der Baustelle Neuschwanstein können im Museum der bayerischen Könige besichtigt werden.

Text: Vanessa Richter · Foto: Hubert Riegger

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