Menschen

Zuflucht für ein neues Leben

Manchmal entwickelt sich das Zusammenleben zwischen Eltern und jungen Erwachsenen sehr schwierig. Es ist, als ob zwei Welten zusammentreffen, jede auf ihre Art wuchtig. Ein weiteres gemeinsames Leben unter einem Dach entwickelt sich dann sehr schwierig. Entweder fliegen sie aus dem gewohnten Zuhause raus oder sie hauen selbst ab. Nicht immer ist es möglich bei Freunden unterzukommen.

Für solche Krisensituationen gibt es den Verein „Fluchtpunkt“ in München, der 18- bis 20-Jährigen teilbetreute Schlafstellen anbietet. Isabella Campana ist Sozialpädagogin und kümmert sich um die jungen Erwachsenen. Drei Monate können sie in dieser Auffangstelle bleiben. Zeit genug, um sie in die Selbstständigkeit zu entlassen oder für sie andere Formen von Hilfe zu finden. „Es sind junge Frauen und Männer, die von Obdachlosigkeit bedroht oder anderen Gefährdungen ausgesetzt sind. Es ist kein klassisches Obdachlosenheim“, erzählt die Füssenerin. Ein Infogespräch klärt die jungen Erwachsenen auf, welche Regeln im Haus gelten, was sie vom „Fluchtpunkt“ erwarten können und wie man ihnen helfen kann. Sie können sich vorab die Räumlichkeiten anschauen und sich dann entschließen, ob sie im „Fluchtpunkt“ bleiben wollen. „Meistens sind es junge Erwachsene, die familiäre Schwierigkeiten haben, teilweise von der Familie bedroht und verfolgt werden“, erklärt die Sozialpädagogin. „Es ist ein ganz sensibles Alter zwischen 18 und 21. Da bekommt man noch einmal einen Schub von Persönlichkeitsentwicklung, man wird erwachsener und es kommt zu Reibereien mit den Eltern“, klärt sie auf. Dass manche Eltern darauf unbeholfen oder überfordert reagieren ist nicht selten. Sie drücken es in Form von Gewalt und Missbrauch aus. „Man glaubt gar nicht, wie viele Anfragen wir haben. Nicht alle jungen Erwachsene können Hilfe annehmen. Das ist manchmal sehr schwierig“, so Campana.

Was die jungen Erwachsenen teilweise erleben ist grausam und traurig zugleich. Isabella Campana und ihre Kolleginnen sind für die jungen Menschen manchmal Freundin, Schwester und Mutter. So hart die Lebensgeschichten auch sind, „wir müssen uns auf das Wesentliche fokussieren, um ihnen helfen zu können. Es bringt ihnen nichts, wenn wir in Mitleid versinken. Wir versuchen sie zu motivieren und ihnen Perspektiven aufzuzeigen“, so die 26-Jährige. Die drei Monate, die der junge Erwachsene im „Fluchtpunkt“ verbringt, sind sowohl für die Sozialpädagogen als auch für ihn selbst eine sehr intensive Zeit. „In der Zeit ermitteln wir, wie viel Hilfe der- oder diejenige braucht, bestimmen den Therapiebedarf, kümmern uns um einen Ausbildungsplatz oder wenn schon einer besteht, nimmt man Kontakt mit dem Lehrer auf. Wir haben viele Möglichkeiten sie dabei zu unterstützen. Wir wollen gemeinsam mit dem jungen Erwachsenen herausfinden, wo die Reise hingehen soll, und natürlich, was sich der junge Mensch wünscht“, beschreibt Isabella Campana ihre Arbeitsweise. Nach der Analyse entscheidet man dann gemeinsam, ob zum Beispiel ein Zusammenleben in einer betreuten Wohngruppe für die weitere Entwicklung des jungen Menschen von Vorteil wäre. „Tatsächlich, und da gibt es immer wieder Überraschungen, schaffen es manche wieder auf die richtige Bahn zu kommen, trotz Drogen- und Alkoholsucht. Andere müssen noch eine Runde drehen. Entscheidend ist, dass jeder auf irgendeine Weise aus der ganzen Situation etwas mitnehmen kann“, weiß Isabella Campana, die Soziale Arbeit in Landshut studiert hat. Immer wieder würde sie diesen Job ausüben, auch wenn die Gefahr besteht „die ganze Welt retten zu wollen“. „Man muss sich selbst immer wieder reflektieren und wissen, dass man nur helfen kann, wenn man das Ganze von außen betrachtet.“

Auf die Frage, ob nicht alle Sozialpädagogen ein Helfersyndrom haben, lacht sie. „Ich möchte es nicht so nennen. Es ist einfach die Freude mit Menschen arbeiten zu können. Das macht Spaß“, erwidert sie. Wie lange man diesen Job ausüben kann, weiß sie selbst nicht. „Ich hoffe doch lange. Mein Chef ist seit über 18 Jahre dabei und er macht es immer noch sehr gut.“

Irgendwann will sie wieder nach Füssen zurück. „Vielleicht dann, wenn ich Familie habe. Es freut mich zu sehen, dass sich auf diesem Gebiet einiges bei uns getan hat. Die Wertachtal-Werkstätten sind so gewachsen und es gibt einige privat geführte Wohngruppen. Ich könnte mir vorstellen, so etwas später auch mal zu machen.“ Doch jetzt gilt ihre gesamte Aufmerksamkeit jenen, die nur wenige Jahre jünger sind als sie und die nicht dieses Glück hatten „normal“ aufzuwachsen. Den „Fluchtpunkt“ können nur junge Menschen, die in München leben, aufsuchen.


Verein für Jugendpflege und Jugendhilfe e.V.
Engelhardstraße 6
81369 München
Telefon: 089 / 890 65 95-0
Notruf: 0171 / 380 32 79
E-Mail: info@fluchtpunkt.de

Text: Sabina Riegger · Foto: Isabella Campana

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