Menschen

”Das mach ich doch mit links”

Da gibt es dieses Sprichwort: “Ich gebe Dir die linke Hand, und die kommt von Herzen” oder “Mach ich doch mit links”, Sätze, die Florian Wild täglich lebt. Er macht tatsächlich alles mit links. Einfach war das allerdings nicht.

Es gibt Dinge, die kann Florian Wild nicht so machen, wie es andere in ihrem ganz normalen Alltag tun. Immer wieder muss er eine alternative Lösung suchen oder einen anderen Weg finden, weil es anders gar nicht geht. Der 25-Jährige hat einen verkürzten Arm. Es war ein Kunstfehler bei der Geburt. Die Sehnen und Nerven des rechten Armes wurden verletzt.

Heute kommt er damit zurecht. Doch es gab Zeiten, die alles andere als aufbauend waren. An seine Schulzeit mag der junge Mann nicht denken. Mobbing gehörte für ihn zum Schul-Alltag wie für Andere das Pausenbrot. Weil er beim Sportunterricht nicht alles mitmachen konnte, war er ein gefundenes Fressen für seine Mitschüler. Noch Heute kann er dieses Verhalten nicht entschuldigen. “Jeder Mensch ist doch irgendwie anders”, so Florian Wild. Er hat gelernt sich durchzuboxen, negative Kommentare oder Aussagen auszublenden. Viel einfacher wäre es für alle Beteiligten, wenn es mehr Inklusionsklassen gäbe. Menschen mit Behinderung und Ohne, die sich im Alltag begegnen und voneinander lernen. Für Florian Wild wäre das der richtige Ansatz. Nur einmal hat er mit seiner Situation gehadert. Es war die Zeit nach seiner Ausbildung, als er täglich Job-Absagen bekam. “Da dachte ich mir, ich bin für nichts gut. Wer braucht mich schon”, erzählt der 25-Jährige. Dieses Gefühl, überflüssig zu sein, löste in ihm Depressionen und Wut aus. „Ich bin ein Jahr lang neben mir gestanden. Ich hatte das Gefühl, in einer Sackgasse zu sein”, denkt er zurück. Der Weg in die Wertachtal-Werkstätten war ein Lichtblick am Horizont. „Da erst begann ich mich selbst kennenzulernen und vor allem mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Das fiel mir nicht leicht. Ich wollte Schreiner werden, aber mit einer Hand ist das nicht möglich. Es ist gut, dass ich das ausprobiert habe.” Durch ein Praktikum im Seniorenheim Sankt Martin fand er schließlich den Job, den er gerne macht. Er ist Präsenzkraft und kümmert sich um den Nachmittagskaffee und das Abendessen, deckt die Tische ein, hilft den Senioren oder hört ihnen einfach nur zu. Es ist SEIN Job und die Senioren danken es ihm. „Das hat mir von Anfang an gleich sehr viel Spaß gemacht. Ich kann mir vorstellen, das auch sehr lange Zeit zu machen.“ Denn immerhin bringt Florian Wild durch seine eigenen Erfahrungen auch ein enormes Verständnis für Menschen mit, die manche Dinge nicht bewältigen können oder eben anders machen. Der begeisterte Radfahrer ist ein guter Zuhörer und vor allem ein geduldiger. Da können die älteren Herrschaften 20 Mal das Gleiche fragen, er bleibt ruhig und gelassen. „Seitdem ich die Arbeit habe, bin ich auch gefestigter, mein Selbstbewusstsein ist wieder da”, erklärt er.

Dass er eine eigene Wohnung hat, hat er in erster Linie seiner Mutter zu verdanken. Sie hat ihn langsam aus dem gut behüteten Nest „rausgeschubst”. „Das war gut so, sonst wäre ich nicht selbstständig geworden. Ich hab das gebraucht. Selbst hätte ich es mir nicht zugetraut”, gibt er zu. Etwaige Hilfsmittel erleichtern ihm zwar den Alltag, dennoch muss er aber ständig versuchen, neue Situationen zu bewältigen. „So wie schon als kleines Kind beim Fahrradfahren“, erzählt er. „Da war ich fünf oder sechs Jahre alt. Anfangs haben mich meine Eltern noch festgehalten und ich hatte Stützräder, die ich aber dann irgendwann nicht mehr gebraucht habe. Heute habe ich ein Mountainbike mit speziellen Bremsen und einer Sonderschaltung.“ Seine große Leidenschaft ist aber seine Mitgliedschaft bei den „Country- & Western-Freunden Ostallgäu“. „Da bin ich jetzt seit gut fünf Jahren dabei, jede Woche treffen wir uns zum Line-Dance im Soldatenheim.“ Selbstständig sein ist für ihn jetzt kein Thema mehr. Er hat alles, was er braucht. Sein Mountainbike, ein eigenes Auto, er fährt Ski und hat gute Freunde mit denen er sich trifft. Der 25-Jährige hat seinen eigenen Weg durchs Leben gefunden. Er hat fast alles mit “links” gemeistert. Was noch fehlt, ist die richtige Partnerin.

Sabina Riegger · Foto: Margarete Häfelein

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