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Die Gemeinde Rettenbach: Eine wirtschaftliche Einheit

Mit stolzer Eigenständigkeit in eine freie und sonnige Zukunft

Als Kommune nahezu unabhängig zu sein, eine weitestgehende Selbstständigkeit zu besitzen und damit das Wohl und die Zufriedenheit der eigenen Bürger zu fördern und zu garantieren. Ein Kreis, der sich schließt. Eine Win-Win-Situation für Alle. So oder in etwa so könnte man das beschreiben, was sich in der Gemeinde Rettenbach am Auerberg in den vergangenen Jahren entwickelt hat. „Die ganze Geschichte beginnt Ende der Siebziger Jahre“, erinnert sich Bürgermeister Reiner Friedl. „Das war der Tag, an dem wir unsere Eigenständigkeit als Gemeinde verloren haben.“ Die Bayerische Staatsregierung hatte damals, gegen den Willen der Bürger, des Gemeinderates und des Bürgermeisters entschieden, die Gemeinde aufzulösen und in die benachbarte Gemeinde Stötten einzugliedern, womit eine jahrhundertealte Tradition der Selbstverwaltung mit einem Schlag beendet wurde. „Am 31. 12. 1978 hat der Meßmer die sogenannte Schiedung, also den Tod unserer Gemeinde, eingeläutet.“

Der Kampf um die Eigenständigkeit

Zwar wehrte sich der Ort über die Jahre immer wieder gegen die Entscheidung, allerdings vergeblich. Zudem mussten die Rettenbacher sechs Jahre später auch noch die Auflösung der eigenen Grundschule hinnehmen, was dazu führte, dass die Schüler künftig in Stötten eingeschult wurden. Der Kampf, um die Eigenständigkeit des Dorfes wieder zurück zu bekommen, ging also weiter. Und tatsächlich. Als eine von nur fünf Gemeinden in Bayern gelang es Rettenbach schließlich im Oktober 1993 die Freiheit wieder zu erlangen. „Um die dafür erforderlichen Kriterien zu erfüllen, mussten wir allerdings schon ein gewisses Verhandlungsgeschick aufbringen“, schmunzelt Friedl. “So haben uns beispielsweise auch ein paar Russlanddeutsche, die zu dieser Zeit in einem Übergangswohnheim im Ort untergebracht waren, geholfen, die Einwohnerzahl etwas nach oben zu korrigieren. Seitdem ist der sechste Oktober unser ortseigener Feiertag.“

Als eigenständige Gemeinde musste der Ort damals aber wieder ganz von vorne anfangen. Eine Infrastruktur gab es nicht mehr. Unter dem neu- und atypisch gewählten Bürgermeister Willi Fischer, der über Jahre hinweg die Ausgliederung voran getrieben hatte, wurden innerhalb kürzester Zeit insgesamt 18 Gebäude neu erstellt. „Wir hatten weder eine Schule, noch ein Rathaus, noch sonst etwas, es war ja nichts da“, so Friedl. „Keine Kläranlage, kein Wertstoffhof, kein Kindergarten.“ In diesem Zuge machten sich die Gemeinderäte Gedanken, wie man den Ort am besten gestalten könnte. Und schnell war klar, dass die Rettenbacher Vieles anders machen wollten. So wurde unter anderem der Steuersatz für Gewerbetreibende auf den niedrigsten Wert des Freistaates festgelegt. Zwar ist die Wirtschaft von Rettenbach vornehmlich landwirtschaftlich geprägt, aber auch mehrere mittelständische Gewerbebetriebe haben dort mittlerweile ihren Sitz, wie etwa der Forstmaschinenhersteller Pfanzelt oder der Kommunalmaschinenhersteller Kugelmann, die beide weltweit agieren.

Somit waren die Grundsteine für die Zukunft längst gelegt. „Im Vordergrund stand dabei auch immer der ökologische Gedanke“, ergänzt Reiner Friedl. „Wir haben dann angefangen unsere Dächer mit Photovoltaik-Anlagen zu bestücken.“ Mit sehr großem Erfolg, immerhin schaffte es der Ort über einige Jahre hinweg, sich regelmäßig den ersten Platz in der Solarbundesliga zu sichern, in der sich Gemeinden in der installierten Photovoltaik- und Solarthermieleistung messen. Heute erzeugen die meisten Häuser in Rettenbach Strom mit eigenen Solaranlagen.

Insgesamt steuert das Dorf an sonnigen Tagen cirka 4,5 Millionen Kilowattstunden pro Jahr in das öffentliche Netz. Alle öffentlichen Gebäude werden mit einer zentralen Scheitholzanlage beheizt, für die die örtlichen Landwirte das Holz liefern. Genauso wird aber auch Energie durch Biogasanlagen aus Gülle und Silage erzeugt, viel mehr als der Ort selbst verbrauchen kann.

1 Weichbergtaler = 5 Euro

Um den regionalen Wirtschaftskreislauf weiter zu komplettieren und gleichzeitig auch die Nahversorgung im Ort zu garantieren, entstand 2007 mit dem „Weichbergmarkt“ ein neuer Dorfladen. Untergebracht im Gemeindezentrum, das ebenfalls aus heimischen Baustoffen und mit viel Eigenleistung gebaut wurde, bietet der Markt neben einem gemütlichen Café ein umfangreiches Lebensmittelsortiment mit mehr als 7.000 Artikeln. Den Namen verdankt der Markt dem ortseigenen „Weichberg“, der längst zum Wahrzeichen der Gemeinde geworden und zudem auch Namensgeber der ortseigenen Währung ist. Mit dem Rettenbacher Weichbergtaler, dessen Wert fünf Euro je Münze beträgt, lassen sich nicht nur die Einkäufe im Markt bezahlen, alle örtlichen Gewerbe nehmen das Dorf-Geld an. Über eine Vergreisung kann sich die Gemeinde ebenfalls nicht beklagen, besonders junge Familien ziehen hierher. Immerhin verfügt der Ort obendrein über ein eigenes „Jugendparlament“.

Insgesamt ist Rettenbach am Auerberg, nach mittlerweile 25 Jahren wiedererlangter Eigenständigkeit, Selbstversorger auf nahezu ganzer Linie, fast vollständig abgekoppelt vom globalen Wirtschaftskreislauf. „Aber es geht weiter“, so Reiner Friedl. „Wir sind noch nicht am Ziel“. Durch ihren Antrieb, ihre Errungenschaften und zudem die hauseigene Erzeugung von regenerativen Energien, hat die Gemeinde längst auch international für Aufsehen gesorgt. So kommt es durchaus öfters vor, dass japanische Reisegruppen im Ort eintreffen, um sich staunend durch das Dorf führen lassen.

Text: Lars Peter Schwarz · Bild: Weichberg Taler

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