Kolumne

Heiligs Blechle

Mein allererstes Auto war brandneu. Schwarz, klein, wendig. Er hatte drei Türen, CD-Radio und 45 PS. Ich war stolz wie Oskar. Ab jetzt hatte ich nicht nur ein eigenes Auto, sondern auch eine Wohnung auf vier Rädern. Ich hatte alles dabei, was man so zum Leben brauchte. Von Büchern und meiner Kamera, bis hin zu Unterwäsche, CDs, Zahnpasta, Tennisschläger, Schals und Grillzangen war alles griffbereit. Immer. Mein geliebtes Auto war ein Sammelsurium meiner Jugend. Freude, Tränen, Pizzareste und Brandlöcher inklusive. Kein Weg war zu weit und keine Steigung zu hoch. Wir beide waren überall. In der Pampa, im Schlamm, auf der Reeperbahn.

Eigentlich habe ich mir damals vorgenommen, nie wieder ein Messie auf vier Rädern zu werden. Bücher sollten zuhause bleiben. Unterhosen und Schlafutensilien auch. Ich wollte so werden wie die Mama meiner Grundschulfreundin. Der Fußraum ihres Autos war flauschiger und farbintensiver als jeder Teppich, den ich zuvor gesehen hatte. Sie lüftete ihr Auto täglich. Hatte feuchte Wischtücher und einen Handstaubsauger im Kofferraum. Eine Zeit lang konnte ich ihr nacheifern.

Aber jetzt sitze ich hier. In der Mitte. Eingeengt zwischen zwei Kindersitzen auf der Rückbank. In meinen Haaren klebt irgendwo ein angeknabbertes Stück Semmel. Die Lüftung bläst mir direkt zwischen die Beine und neben meinen Füßen liegt das halbe Bücherregal. Kinder-Atlanten. Dinosaurierbücher. Tip Toi´s.

Der Boden unseres Autos sollte eigentlich anthrazitfarben sein. Jetzt ist er es nicht mehr. Kekskrümel, Brottüten und Matchboxautos versperren mir die Sicht.

Eigentlich war mein Platz immer vorne. Rechts vorne. Ich war Kommandantin der Familienkutsche. Jetzt bin ich die Schlichtungsstelle zwischen: „Wann sind wir endlich da, ich kann nicht mehr!“ und „Sei jetzt bitte mal still, ich muss mich konzentrieren!“ Ich beruhige die Gemüter, füttere (auch Papa!), singe, erzähle, wechsle Windeln und erfülle Wünsche wie: „Mama, bitte massier doch mal mein Bein!“

Manchmal schließe ich einfach kurz meine Augen und klopfe sämtliche Triggerpunkte meines Oberkörpers ab. Ich klopfe mich in eine Art ohmmmnipräsenten Zustand und entspanne mich. Zum Glück ist mein geistiges Auge groß. Und meine Vorstellungskraft noch größer.
Ich denke an etwas Schönes: Ich sehe ein aufgeräumtes Auto mit Dachträger, zwei tiefenentspannte Kinder, mich auf meinem alten Chefposten und Europa vor uns. Mein Herz schlägt schneller.

Ich singe: „Is this love? Is this love? Is this love that I’m feeling?!”
„Mama! Maamaaaa!!! Warum freust du Dich so?“
„Na weil wir bald einen Monat lang mit dem Auto rumreisen!“
Mein Kind freut sich mit: „Jaaa, stimmt. Dann kannst du immer neben mir sitzen und mich die ganze Zeit massieren“…

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