Fit & WellLeben

Von kräuterkundigen Frauen und seltsamen Rezepten

Vor hundert Jahren gab es in einem Dorf im Allgäu keinen Arzt. Krank waren die Menschen aber auch damals. Verletzungen und viele Erkrankungen behandelten vor allem kräuterkundige Frauen mit allerlei Hausmitteln, Salben und Tees. Aber auch das sogenannte „Ab-Beten“ war weit verbreitet. 

Wenn man in einem inzwischen ganz schön abgegriffenem Notizbuch die  schwer zu entziffernden Rezepte einer Bäuerin liest, hat man einen Schatz entdeckt. Man findet Aufzeichnungen über die Heilkraft des Sauerkrauts neben exakten Anleitungen zum Nähen von Bettwäsche oder Hemden oder zur Kindererziehung. Vielerlei  Rezepte aus heimischen Kräutern für Krankheiten oder zum Imprägnieren von Stoffen oder zum Herstellen von Seifenlauge. Daneben Gedichte und Sprüche zu allen Anlässen und Gebete zu verschiedenen Heiligen und Anliegen. Von hausfraulich bieder bis naturheilkundlich, gläubig und fast magisch.

Bei einigen Rezepten bekommt man Lust sie auszuprobieren. Bei Husten zum Beispiel. Da soll man eine Zitrone auspressen, 1 Löffel Saft und 1 Löffel Zucker in 1 Löffel Salatöl gut verrühren und löffelweise einnehmen. Oder den Hals mit kalten Wickeln gut einwickeln. Bei Leber- und Gallenleiden kann man die äußeren Blättchen der Arnikablüte in Weingeist oder Cognak ansetzen, mit Wasser verdünnen und mit Honig gesüßt löffelweise einnehmen.

Andere Rezepte machen stutzig und rufen Ekel hervor, auch wenn man über Eigenbluttherapie schon mal gehört hat. So soll man bei Koliken und Verstopfungen Urin verabreichen oder bei Lungenasthma hauptsächlich abends 1 Teelöffel Eigenurin einnehmen. Dies für acht Tage und  nach Vollmond damit beginnen.

Der Stand des Mondes wurde überhaupt viel beachtet. Arzneien, die stärken sollten, nahm man bei zunehmendem Mond ein, die zur Entgiftung dagegen bei abnehmendem. Pflücken sollte man Blüten und Pflanzen meist in den Morgenstunden im März, April oder Mai  oder aber an den sogenannten „Dreißigsten“, die vom 15. August bis 5. September dauerten und mit Marienfesten gefeiert wurden.

Beeindruckend ist zu sehen, wie sich die einfachen Leute vor hundert Jahren in vielen Lebenslagen zu helfen wussten. Wie sich Wissen um die Wirkung von Wasser ebenso wie die von Pflanzen, überlieferte Rituale und tiefer Glaube eigentümlich vermischten. Auf jedem Hof gab es eine Hausapotheke, zu der  Arnika und Johanniskraut für Wundheilung und Verletzungen gehörten, genauso wie Weißdorn zur Stärkung des Herzens oder Holunder- und Lindenblüten zum Schweiß treiben bei Fieber und Lungenentzündung. Bei Blutvergiftung wurde sogenanntes „Spasemuskraut“ (Gänsefingerkraut) mit Milch abgekocht, Reis bei allen Arten von Durchfällen. Bei hoher Harnsäure, also Gichtleiden, kochte man die Blätter von Gänseblümchen mit rotem Rand von ungedüngten Böden und nahm den Sud nach dem Essen ein. Zudem gab es eine Vielzahl an Stärkungsmitteln, Ernährungs-Empfehlungen und Kuren, vor allem für Herz und Lungen, bei Blutarmut oder Schwäche.

Bei Verbrennungen, unstillbaren Blutungen oder Schmerzen wandte man sich an Kundige, die diese stillen und „den Brand löschen konnten“. Sie spendeten den Fiebersegen, kannten eine Formel bei Wurmerkrankungen, die dem Neid-, dem Geiz- und dem Haarwurm gebietet das Menschenfleisch zu meiden oder die Worte, die „den Bruch heraus heilen“. Immer wurden dabei Gebete gesprochen und wiederholt, die stark den katholischen ähneln, aber selten beispielsweise ein „Amen“ enthalten.

Wollte man Warzen los werden, wurden so viele Knoten wie Warzen an einen Faden gebunden, einem Toten mit in die Bahre gelegt und gebetet. Die Wirkung gerade bei Notfällen war oft beeindruckend, wissen viele Alte aus eigener Erfahrung zu berichten.

Aus Kindheitstagen, oft von der Oma überliefert, kennt man die Heilwirkung von Arnika und Johanniskraut bei Unfällen und Verletzungen, die ihre Knochenleiden mit Beinwell behandelten. Bei Fastenkuren achten einige auf den Stand des Mondes, genauso wie in der Landwirtschaft oder im Garten.  Und in aussichtslos erscheinenden Situationen sucht so mancher Hilfe nicht nur beim Hausarzt, den Spezialisten, dem Naturheilkundler und  dem Heilpraktiker, sondern geht auch noch zum Abbeten.

Erstaunlich viel aus den Zeiten unserer Großmutter, die sich zu helfen wusste und in ihre Methoden vertraute, hat bis in unsere Zeit überlebt.

 

Text: Judith Schwarzenbach
(Ärztin für Gynäkologie, klassischer
Homöopathie und Informationsmedizin)
praxis@wisse-die-wege.de und 08362 9305249

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