Menschen

Ein multikulturelles Miteinander

Gelebte Integration für 21 Flüchtlinge im Seniorenheim St. Michael

Es ist auffallend, wenn man durch die Gänge und Räumlichkeiten des Seniorenpflegeheims St. Michael in Füssen läuft. Hier arbeiten ganz offensichtlich viele Menschen, die nicht von hier kommen, ihre Heimatländer liegen in Afrika und dem mittleren Osten. Sie arbeiten in der Küche, helfen beim Hausputz oder Schneeschaufeln und dem Ein- und Abdecken der Tische in den Speisesälen. Eben überall da, wo gerade eine Hand oder Hilfe gebraucht wird. Insgesamt sind in dem Füssener Heim mittlerweile 21 Flüchtlinge beschäftigt. „Natürlich passt die Art der Arbeit nicht zu jedem“, erklärt Heimleiter Matthias Stroeher, „die Arbeit muss den Menschen auch Spaß bereiten.“ Ist das der Fall, ist die Basis geschaffen, auf der Integration aufgebaut werden kann, davon ist Stroeher überzeugt.

Was vor gut einem Jahr eher nur als Versuch angefangen wurde, hat sich innerhalb kürzester Zeit bereits sehr gut bewährt. Die Flüchtlinge kommen aus Nigeria, Eritrea, Afghanistan oder aus Pakistan. Pro Woche dürfen sie maximal 20 Stunden leisten, bekommen dafür einen Stundenlohn von 1,05 Euro. Dabei gleichen die Flüchtlinge auch ein entscheidendes Defizit der aktuellen Lage auf dem Pflegesektor aus, denn vor allem dort macht sich der Fachkräftemangel sehr deutlich bemerkbar. Zwar können die Flüchtlinge keine direkten Fachkräfte ersetzen, können aber entscheidend dazu beitragen, diesen viel Arbeit abzunehmen. So hat Emanuel aus Nigeria schon seinen festen Platz in der kleinen Stationsküche, Mir, Vais und Mohammedi aus der Provinz Kundus helfen dagegen mit dem Besteck und Geschirr der Senioren. „Die Jungs arbeiten sehr konzentriert und nehmen uns sehr viel Arbeit ab, ich bin dann froh darüber, dass ich dadurch mehr Zeit für andere Aufgaben gewinne, freut sich Hauswirtschaftsleiterin Alina Kraftsik.

Missverständnisse, aus denen man sehr viel lernen kann

Der 20-jährige Kazmi aus Afghanistan ist sogar schon ein paar Schritte weiter. Vor etwa neun Monaten kam er nach Deutschland, seit gut fünf Monaten arbeitet er jetzt in dem Füssener Seniorenheim. Sein Deutsch ist mittlerweile sehr gut geworden, in diesen Tagen beginnt er ein offizielles Praktikum als Vorbereitung zu einer Ausbildung. Kazmi strahlt, als er davon erzählt. Er ist stolz, innerhalb so kurzer Zeit so viel erreicht zu haben. „Ich möchte gerne Altenpfleger werden“, sagt er, wobei seine Augen leuchten, denn er weiß, was dies hier in Deutschland bedeuten kann. In seiner Heimat Afghanistan gibt es Berufe wie Altenpfleger gar nicht, in der Regel werden die Ältesten dort innerhalb der Familien gepflegt.

„Integration muss man ernst nehmen“, sagt Matthias Stroeher, „vor allem aber auch erst lernen. Der Aufwand, anderen Menschen, die einen nicht immer gleich verstehen können, etwas beizubringen, ist enorm.“ Dazu komme, dass die meisten der Mitarbeiter wenig oder gar kein Englisch sprechen, womit eine sprachliche Barriere immer vorhanden sei. „Allerdings klappt Verständigung immer dann, wenn man es auch will. Die Ablehnung bei den Mitarbeitern war spürbar, manche waren auch sehr skeptisch, aber es funktioniert. Unsere Mitarbeiter sprechen deutsch mit den Flüchtlingen, somit kommt es ab und zu auch mal zu Missverständnissen, aus denen wir wiederum auch sehr viel lernen können.“

Flüchtling, Asylant oder eine bestimmte Person ?

Stroeher ist Ethnologe und Völkerkundler, hat selbst viele Jahre in Ägypten und Syrien gelebt und dort viele Erfahrungen gesammelt, zudem kam er in den Genuss der außergewöhnlichen Gastfreundschaft in diesen Ländern. „Ich möchte davon nun etwas zurückgeben, ich möchte auch, dass hier im Umfeld des Heims ein anderes Bild entsteht, wie es manch woanders gezeichnet wird. Was früher der Zivildienstleistende übernommen hat, kann heute durch die Kräfte der Flüchtlinge aufgefangen und ersetzt werden. Dazu kommt, dass die direkte Auseinandersetzung mit anderen Menschen auch dazu führt, dass wir uns besser verstehen und mögen können. Aus dem „Flüchtling“ wird so schnell der „Afghane“ und am Ende wird daraus eine bestimmte Person mit einem Namen. Was hier also entsteht, ist eine deutliche Differenzierung zwischen Flüchtlingen, Asylanten und einzelnen Charakteren.“
Als Leiter der Einrichtung hatte Stroeher anfangs große Bedenken, dass die Zusammenarbeit zwischen seinen weiblichen Angestellten und manchen Flüchtlingen nicht so gut klappt. Bisher gab es aber in dem Seniorenheim keinen einzigen Fall, in dem es nicht funktioniert hat. Es entstehe eine „Win-Win-Situation“ für alle Beteilig-ten, schließlich habe das Rote Kreuz als Träger des Heimes auch einen entscheidenden Auftrag. Denn der Ursprungsgedanke lautet eindeutig, Menschen, die durch Krieg zu Schaden gekommen sind, zu helfen und wieder zusammenzuführen. Genau das passiert hier und jetzt.

Für den Ethnologen stellt sich die aktuelle Situation zudem noch etwas wertvoller dar, ebenso als große Chance für die Völkerverständigung. „Völlig egal, wie sich die Dinge entwickeln“, sagt Stroeher, „am Ende wird unter dem Strich stehen bleiben, wie die Flüchtlinge diese ganze Geschichte weiter erzählen werden, eben so oder so. Wir haben also die Chance, unser Land anders darzustellen, wie es andere Nationen gerade machen, die humanitäre Hilfe größtenteils ablehnen.“

Text · Bild : Lars Peter Schwarz

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