BrauchtumLeben

Es war einmal… Weihnachtserinnerungen von Maria Gardel

Maria Gardel war eine besondere Frau. Die Füssnerin wohnte in einem Teil des jetzigen Museums. Ihre Wohnung ähnelte eher einer privaten Galerie. Sie mochte die vielen Bilder und Antiquitäten und sie wusste viel zu erzählen. Es war 1998 als sie mir von ihren Kindheitserinnerungen erzählte. Dabei strahlten ihre Augen und es schien so, als ob sie jeden Augenblick von damals noch einmal erlebte. Diese Weihnachtserinnerungen an ihre Kindheit hatte ich in unserem Archiv aufgehoben. Erst vor kurzem hielt ich die Aufzeichnungen wieder in den Händen. Wer kann sich noch an den 8. Dezember erinnern? Wahrscheinlich nur noch wenige und an die Arbeiter, die einen Bogen um die Reichenstraße machen mussten.

Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, und das liegt mehr als siebzig Jahre zurück, dann muss ich sagen, dass die Zeit sehr schön war. Ich kann mich noch an vieles erinnern: an die Straßen, die Menschen und die Gerüche, besonders in der Adventszeit. Der 8. Dezember war damals ein Feiertag, es war das Fest der unbefleckten Empfängnis und zugleich ein großer Backtag. In jedem Haus wurde eifrig gebacken. Die Kleider rochen nach Plätzchen, die Haare und das ganze Haus. Überall konnte man den Duft von Zimt, Kardamon, Lebkuchen und Anis riechen.

Die Rezepte waren die best gehüteten und somit schmeckten die Plätzchen immer anders. Ich liebte diesen Tag, zumal es ja auch schulfrei war. Aber es hatte noch einen anderen, besonderen Grund: Meine Geschwister und ich durften beim Backen mithelfen, den Teig rühren und so oft es  möglich war auch probieren. Es konnte ja sein, dass man irgendeine der vielen Zutaten vergessen hatte. Damals gab es natürlich keine Knetmaschine oder einen elektrischen Quirl. Mein Vater hatte auch immer seine Freude daran. Denn wenn die Plätzchen anbrannten, durfte er sie mit uns gleich essen. Deswegen war er auch nicht böse, wenn wir Kinder das Feuer im Ofen zu sehr schürten.

Ein unbeschreiblicher Geruch lag in der Luft

FA_12_15_Gardel-02Der 8. Dezember war aber auch ein Tag, an dem es nicht nach Schweiß und Hanf roch, wie es sonst üblich war. Zu dieser Zeit arbeiteten fast zweitausend Arbeiter in den Hanfwerken. Jeden Mittag sind viele von ihnen zum Essen nach Hause gegangen – erst die Lechhalde hoch und dann die Reichenstraße hinunter. Dieser unbeschreibliche Geruch blieb in der Luft hängen. Und weil man befürchtete, dass die Touristen fernbleiben würden, wurde beschlossen, dass die Arbeiter nicht mehr die Reichenstraße entlang gehen, sondern über die Brunnengasse oder Spitalgasse ausweichen sollten. Heute könnte man sich so etwas gar nicht mehr vorstellen. Aber an diesem besonderen Tag, an dem es süß und geheimnisvoll roch, war es auch üblich, abends in die Franziskanerkirche zu gehen. Ich freute mich immer darauf, denn ich liebte den Gesang des Männerchores, insbesondere die Stimme von Pater Benedikt. Frauen durften an diesem Tag nicht mitsingen. Wir saßen unten in den Gebetsbänken, hörten dem Gesang zu und beteten. Die Vorbereitung auf Weihnachten war für mich eine schöne Zeit. Irgendwie war es lebhaft und still zugleich. Die gute Stube durfte zum Beispiel von uns Kindern nicht betreten werden. Meistens saßen wir in der Küche. Mein Vater las uns öfters was vor oder erzählte von früher. Und wenn das Feuer im Ofen tobte, dann sagte er: Die armen Seelen heulen. Und weil die armen Seelen heulten, mussten wir dann alle beten.

In der Schule durften nur die braven Kinder das Strohbettchen vom Jesuskind machen. Jeden Tag war ein anderes, artiges Kind dran. Das durfte dann einen Strohhalm nehmen und ihn auf die anderen Halme legen. Im Laufe der Zeit, wurde dann ein Bettchen daraus. Ich war kein typisches kleines Mädchen. Ich balgte und spielte lieber mit Jungs, was mir öfter mal Ärger einbrachte. Als Weihnachten nahte, schrieb ich einen Brief ans Christkindl und legte ihn ans Fenster. Weil ich nicht brav war, hoffte ich, dass ich dadurch das Christkindl besänftigen könnte und natürlich auch, dass es mir meinen Wunsch erfüllen würde. Ich wünschte mir eine Zither. Tatsächlich brachte das Christkindl auch eine Zither – aber nicht für mich, sondern für meine Schwester. Es war üblich, dass wir am Heiligen Abend zu Mittag eine Brotsuppe bekamen und am Nachmittag Birnenbrot mit Tee oder Punsch. Am Abend fand die Bescherung statt. Wir hörten ein helles Glockenläuten und dann durften wir in die gute Stube.

Vater holte den Tannenbaum im Wasenmoos oder auch mal beim Gärtner. Aber immer war der Baum wunderschön geschmückt mit roten Äpfeln und Glaskugeln. Erst nach der Christmette, die eine halbe Stunde vor Mitternacht war, gab es Mettewurst mit Sauerkraut und Brot zu essen. Ich glaube, kein anderes Essen hätte uns besser geschmeckt als dieses.
Aufgezeichnet 1999 

Verwandte Artikel

Das könnte Dich auch interessieren
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"