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Medizinische Versorgungszentren (MVZ): Ersetzen sie den niedergelassenen Hausarzt?

Wer krank geworden ist, benötigt ärztliche Behandlung. Nur zu welchem Arzt gehen? Statt zwischen einem Hausarzt oder niedergelassenem Arzt und dem Krankenhaus wählen zu müssen, kann sich der Patient seit einigen Jahren an ein Medizinisches Versorgungs-Zentrum (MVZ) wenden.

Füssen aktuell  sprach darüber mit Kliniken, der Kassenärztlichen Vereinigung und  Ärzten.

Warum werden Medizinische Versorgungs-Zentren gegründet?
Hans Achatz, kaufmännischer Geschäftsführer der Fachklinik Enzensberg: Durch das MVZ Enzensberg, das Anfang Oktober gegründet wurde, sieht unsere Klinikgruppe Enzensberg die medizinische Versorgung in Hopfen am See für die Zukunft wohnortnah gesichert.

Dr. Hans-Martin Beyer, ärztlicher Leiter des MVZ: Ich sehe das genau so. Für unsere Patienten bleibt alles wie gewohnt, es ändert sich nichts.

Stefan Reuter ist der zweite Arzt im MVZ und hier weiterhin als Hausarzt tätig: Vielen unserer Patienten wird nun der doppelte Weg erspart, da jetzt beide Praxen in den gemeinsamen Räumlichkeiten auf dem Klinikgelände am Enzensberg untergebracht sind.

Welche Vorteile bietet das MVZ seinen Patienten?
Dr. Beyer: Hier geht alles auf kurzem Weg. Und die vor-, aber auch nachstationäre Versorgung ist ein Meilenstein. Zwei Fachärzte arbeiten dabei mit der Klinik zusammen. So ist die Behandlung nahtlos möglich, sowohl bei der Vorbereitung auf eine klinische Behandlung, als auch bis hin zur Nachsorge im häuslichen Umfeld.

Welche Vor- oder Nachteile haben die übrigen Beteiligten?
Dr. Beyer: Durch den Wegfall vieler administrativer Arbeiten habe ich mehr Platz für Medizin. Das ist mir wichtig bei dieser Kooperation. Und meine Mitarbeiterinnen haben alle ihren Arbeitsplatz behalten.

Hans Achatz: Nicht nur die beiden Fachärzte, auch die Klinik kann Synergieeffekte nutzen. Das ist ein wichtiger Vorteil dieser Zusammenarbeit.

Vor zehn Jahren gab es deutschlandweit 70 MVZ, heute sind es 2.070. Allein in Bayern nahm deren Zahl vom vorigen Oktober mit 394 auf aktuell 414 zu. Woran liegt das?
Dr. Beyer: Unser System orientiert sich immer mehr in Zentren. Denn Qualität braucht viele gleichartige Fälle. Überdies bindet die Bürokratie immer mehr Kraft, sodass der medizinische Nachwuchs nicht mehr in die ambulante Arbeit des niedergelassenen Arztes will. Der Arzt will schlichtweg diese Lasten nicht mehr als Einzelkämpfer tragen.

Wie sieht die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) den Zwiespalt zwischen niedergelassenen Haus- und Fachärzten einerseits und den MVZ andererseits?
Birgit Grain von der KVB: Die Organisation in Form der MVZ kann nur dann nachhaltige wirtschaftliche Vorteile bringen, wenn Synergieeffekte aufgrund der Kooperation erzielt werden. Und wenn die Patienten Verbesserungen von Behandlungsabläufen und Versorgungsqualität wahrnehmen. Eine wohnortnahe, hochwertige ambulante  medizinische Versorgung kann flächendeckend nur über die niedergelassenen Haus- und Fachärzte sichergestellt werden. Somit können MVZ dieses Versorgungsnetz allenfalls ergänzen. Vor allem besteht aber das Risiko, dass Managementgesellschaften in das Gebiet der bislang freiberuflich tätigen Mediziner eindringen. Es steht zu befürchten, dass ein nichtärztliches Management versuchen wird, auf die in der Ausübung ihres Berufes frei handelnden Ärzte Einfluss zu nehmen. Die Gefahr, dass dann Entscheidungen zu Diagnostik und Therapie nicht mehr allein nach medizinischen Gesichtspunkten getroffen werden könnten, ist nicht von der Hand zu weisen. Der KVB setzt sich daher für den Erhalt der Freiberuflichkeit der Ärzte, für niedergelassene Haus- und Facharztpraxen und für eine flächendeckende, wohnortnahe, ambulante Versorgung der Bürger ein.

Trifft es zu, dass die Patienten nicht mehr ihren Therapeuten frei wählen können?
Dr. Beyer: Das kann nur ein Gerücht sein. Die freie Arztwahl ist nach wie vor gewährleistet. Nur wer beim so genannten Hausarztmodell mitmacht, der erhält nach Konsultation beim Hausarzt seine Überweisung an einen Facharzt.

Das MVZ St. Vinzenz in Pfronten mit einer Filiale in Füssen geht bereits ins fünfte Jahr. Welche Gründe haben zur Gründung geführt?
Dirk Kuschmann, geschäftsführender Gesellschafter der St. Vinzenz-Klinik in Pfronten: Die Ermächtigung für die leitenden Ärzte, ambulant behandeln zu dürfen, wurde von der KV (Kassenärztlichen Vereinigung) immer mehr eingeschränkt. So haben wir das MVZ gegründet.

Wie sieht die Akzeptanz durch die Patienten aus? Wie drückt sich das in Zahlen aus?
Kuschmann: Die Resonanz ist sehr positiv. Hatten wir 2012 bereits 12.000 ambulante Behandlungen, so stieg die Zahl 2014 auf 24.000 Patienten im MVZ.

Die KVB hält die Medizinischen Versorgungs-Zentren nur für eine Ergänzung der freiberuflichen Haus- und Fachärzte. Sieht das der Internist mit hausärztlicher Versorgung, Dr. Udo Heel mit Praxis in Hopfen am See, auch so?
Dr. Heel: Ich glaube, die MVZ wird es in Zukunft immer mehr geben. Denn nur so kann die hausärztliche, ja die gesamte ambulante Versorgung abgedeckt werden. Das scheint auch von der KVB eher gefördert zu werden.

Rezepte und Therapien scheint oftmals der Patient nur erschwert zu bekommen? Woran könnte das liegen?
Dr. Heel: Der gemeinsame Prüfungsausschuss von KV und Krankenkassen prüft jedes Jahresende, ob der Arzt `zu viele´ Rezepte ausgestellt hat. Kann der Mediziner dann nicht genau nachweisen, dass alle Verschreibungen unbedingt nötig waren, muss er bis zu mehreren Tausend Euro aus der eigenen Tasche zurückzahlen. Das lässt möglicherweise den ein oder anderen Kollegen zurückhaltend werden.

Sieht Heels Kollege Dr. Reinhard Lauterbacher, praktischer Arzt und Hausarzt in Seeg, den Zwiespalt MVZ – niedergelassener Arzt, auch so?
Dr. Lauterbacher: In größeren Orten sind MVZ sicherlich sinnvoll. In ländlichen Regionen ist das aber keine Möglichkeit, da ist der Hausarzt unverzichtbar. Die MVZ sind für mich keine Konkurrenz, aber die Hausärzte sterben trotzdem langsam aus. Denn die Kosten- und Erlössituation, gerade für junge Hausärzte, wird immer schlechter.

Text: Josef Sontheim · Bild: Fotolia

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