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„Alles hat seinen festen Platz“!

Arbeiten mit Autismus

Rainer Martin mag keine Fertigprodukte. Er kocht am liebsten alles frisch – nur mit den Soßen, das klappt noch nicht so gut. „Irgendwie bekomme ich das nicht richtig hin“, sagt er etwas schüchtern. Dass er sich eines Tages selbst versorgen wird, hat seine Mutter Irmi nicht so wirklich geglaubt. Rainer hat eine Krankheit, die es ihm schwer macht, soziale Kontakte oder Kommunikation zuzulassen. Er hat das Asperger Syndrom, eine Form des Autismus.

Asperger ecken mit ihrem Sozialverhalten an

Asperger ist mit Beeinträchtigungen, aber auch Stärken verbunden. Das auffälligste Merkmal von Menschen mit Asperger ist ein von der Umwelt häufig als seltsam empfundenes Sozialverhalten. Sie haben Probleme mit der sozialen Interaktion und zeigen als unüblich wahrgenommene Reaktionen auf ihre Umwelt. Sie können sich nur schwer in die Gefühle ihrer Mitmenschen hineinversetzen, haben Schwierigkeiten oder oft gar kein Interesse, Freunde zu finden und Freundschaften zu pflegen, vermeiden oft den Blickkontakt, zeigen stereotype oder angelernte Verhaltensweisen und haben Schwierigkeiten bei Veränderungen. Allerdings ist es wichtig festzuhalten, dass jeder Mensch mit dem Asperger Syndrom sich von anderen Menschen mit Asperger unterscheidet, so wie Rainer Martin.

Vor zwei Jahren ist der 24 Jährige von zu Hause ausgezogen. „Eigentlich habe ich ihn dazu gedrängt. Irgendwann gibt es mich nicht mehr, was macht er dann? Diese Frage hat mich lange beschäftigt, deswegen kam dann auch dieser Entschluss, Rainer die Möglichkeit zu geben, alleine zu leben“, erzählt Irmi Martin. Kaum ein Tag vergeht, an dem sie nicht mal kurz vorbei schaut, um nach dem Rechten zu sehen. „Ich bin so dankbar über seine Entwicklung“, sagt sie ernst. Viele Jahre gab es wenig zum Lachen. Die Kinder mobbten den „wunderlichen Sonderling“. „Wir hatten das Glück, dass er so tolle Lehrer in der Förderschule hatte. Seine ehemalige Lehrerin Ilona Deckwerth kommt manchmal ins Restaurant, um Rainer zu besuchen oder sich nach ihm zu erkundigen“. Seit zwei Jahren arbeitet der 24-Jährige beim „Olivenbauer“. „Er ist quasi beim „Olivenbauer“ aufgewachsen. Als er dann 16 Jahre alt wurde, durfte er mitarbeiten“, erzählt Irmi Martin. Heute sind seine Kollegen seine Familie- ein weiterer sozialer Kontakt neben seiner eigentlichen Familie.

Mal weggehen in eine Disco, Kneipe oder Kino, das kann Rainer Martin nicht. Personen oder Orte die er nicht kennt, meidet er. „Er kann keine sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen aufbauen“, erläutert seine Mutter und meint: „Das macht seine Betreuerin. Sie geht mit ihm ins Kino oder auf Konzerte“. „Ich war schon zwei Mal in der Big Box“, sagt Rainer Martin, dem man seine Behinderung nicht anmerkt. „Ich bin gerne zuhause und in der Arbeit“, gibt er zu verstehen. Im „Olivenbauer“ wird er gebraucht, er ist der Mann hinter der Theke, der Fahrer, der Taxi-Pizzaservice und nicht zuletzt die rechte Hand von allen. Immer wenn Not am Mann ist, springt er ein. „Anfangs war es schon etwas problematisch, ihn im Service arbeiten zu lassen. Aber Boro hat es geschafft“, freut sich seine Mutter. Boro, der Geschäftsführer vom „Olivenbauer in Füssen“, gehört ebenso zu seiner festen Kontaktperson wie Rainer Jörg. Sie haben es geschafft, dass der junge Mann seinen festen Platz im Arbeitsleben gefunden hat. „Er räumt die Tische ab oder bringt die Getränke hin – das hätte er sich früher nie zugetraut“, erzählt Boro.

Feines Gespür

„Rainer hat ein feines Gespür, nur kann er es schlecht äußern. Seine Fragen wirken dann eher rüde, für manche sogar unfreundlich“, beschreibt Irmi Martin ihren Sohn. „Dabei ist er gar nicht so. Es gab auch Kunden, die sich über sein Verhalten beschwert haben. Verständlich, viele wissen nicht, dass er Autist ist“. Trotz der Anlaufschwierigkeiten stellte sich für Rainer Jörg, Inhaber vom „Olivenbauer“, nie die Frage der Kündigung. „Wir haben einen kleinen Flyer gemacht, in dem wir Rainers Krankheit kurz beschrieben haben mit der Bitte um Verständnis. Unsere Kunden und Gäste zeigten Verständnis, das hat mich persönlich sehr gefreut. Einige Gäste kommen inzwischen sogar extra wegen ihm zu uns.“ Den 24-jährigen Seeger sollte man nicht unterschätzen. Er hat einen Beruf erlernt und seinen Führerschein gemacht. „Beim Führerschein haben wir lernen müssen, aber er hat ihn auf Anhieb geschafft – manche schaffen das nicht“, sagt die Mutter nicht ohne Stolz. So ist es ganz normal, dass er seine Kollegen zur Arbeit fährt, Besorgungen erledigt,… die Mobilität macht ihn unabdingbar.

Alles hat seinen festen Platz

Wenn Rainer Martin etwas neues erlernt, wird es genauso gemacht – und alle, ohne Ausnahme, müssen sich daran halten. „Menschen mit Asperger Syndrom sind sehr loyal, pflichtbewusst und ehrlich. In Besprechungen ist eine gewisse Gesprächsdisziplin gefragt, alles hat bei uns seinen festen Platz, um keine Unruhe aufkommen zu lassen. Von den Arbeitskollegen ist Toleranz und Verständnis gefragt. Zugegeben – die Anforderungen hinsichtlich Arbeitsplatz und Organisation zu erfüllen, ist für einen Arbeitgeber nicht leicht. Aber es ist durchaus möglich und vor allem lohnenswert. Man erlebt eine ganz andere Beziehung, die man sonst nie kennen lernen würde. Das macht es so besonders. “, erklärt Jörg.

Text · Bild: Sabina Riegger

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