FrauenMenschen

Helga Koch und Elisabeth Holzammer erzählen

Es geht immer weiter …

Sie sind beide über 90 Jahre alt und so verschieden wie man nur sein kann. Elisabeth Holzammer, die ruhige „Grandame des Balletts“ auf der einen Seite und Helga Koch, die Frau die lieber delegierte, auf der anderen. Doch eines haben die beiden Frauen gemeinsam. Sie haben den 2. Weltkrieg mitgemacht und erinnern sich zurück an jene Zeit, die manchmal schwierig und angstvoll war. Jetzt sind beide im Seniorenheim St. Michael, sitzen sich gegenüber und erzählen.

Elisabeth Holzammer
Ich war elf, deshalb kann ich mich an den Krieg nicht so genau erinnern. Wir haben in Hamburg Blankenese gewohnt, mitten im Judenviertel. Die Straßenarbeiter haben mir oft hinterher geschrien „Judenmädchen“, wahrscheinlich weil ich so dunkle Haare hatte. Das machte mir nichts aus. Ich hatte auch Freundinnen die Jüdinnen waren. Als Kind habe ich das sowieso nicht verstehen können. Ich kann mich an eine Begebenheit erinnern, als der Großvater einer Freundin sich bei mir bedankte, weil ich mit seiner Enkeltochter spielte. Später hatte ich gute Freunde um mich herum. Wir waren alle Anti-Nazis. Das Ganze, was da ablief, war einfach nur ein Trauerspiel. Es gab auf so Vieles eine Todesstrafe. Ich war mit Wolfgang Borchert befreundet. Er sagte: „Lil, ich darf nicht reden.“ Wie wir alle musste auch er aufpassen was er sagte und schrieb. Für einen Schriftsteller war das furchtbar. Im Krieg gab es die Verdunkelung. Auch heute noch ist das für mich unangenehm, wenn die Lichter ausgemacht werden.

Als ich nach Füssen kam, war der Krieg vorbei. Meine Schwester lebte hier, deswegen sind mein Mann und ich nach Füssen gekommen. Wir hatten hier keinen leichten Stand: evangelisch, arm und Künstler – eigentlich alles Attribute, die ein normales Leben schwer machen. Ich erinnere mich noch, als ich von Tür zu Tür gegangen bin, um den Töchtern des Hauses meinen Ballettuntericht anzubieten. Manche dachten, es sei etwas perverses, weil man mit kurzen Kleidchen tanzte. Sie fanden es unanständig. Mein Mann war Pianist, ein sehr guter sogar. Er kam aus Nürnberg. Auch für ihn war es schwer hier Fuß zu fassen. Man kann sich das gar nicht vorstellen, aber wenn ich mit einer Hose durch die Stadt ging, schauten mich die Menschen merkwürdig an. Es war unmöglich so zu leben wie in Hamburg.

Ich bekam dann endlich 1948 die Genehmigung, Ballett unterrichten zu dürfen. Die Ämter wussten damals nicht, was ich eigentlich mache. Ballett war ihnen fremd. Wir waren die „Saupreußen“, aber so wollten wir nicht genannt werden, weil wir das nicht waren. Heute muss ich darüber lächeln, ich weiß nicht, ob es woanders einfacher gewesen wäre. Die Leute waren einfach misstrauisch. Ich habe mir aber nie die Frage gestellt, ob ich es leichter gehabt hätte, wenn ich etwas anderes gelernt hätte. Ich war dankbar, dass ich Ballett studieren durfte. Zu jener Zeit war es nicht selbstverständlich. Auch heute noch bin ich meinen Eltern dankbar, dass ich klassiches Ballett und modernen Ausdruckstanz studieren konnte.

Letztendlich habe ich es doch geschafft. Die Frauen der amerikanischen Offiziere ließen mich ihre Töchter im Club unterrichten. Erst später gab ich Hausunterricht. Ob ich streng war? Kann ich nicht so beantworten, ich war genau und das erwartete ich auch von meinen Schülern und Schülerinnen. Über 1.000 Tänze haben wir  einstudiert und mindestens genauso viele Kostüme habe ich genäht.
Für mich ist es der schönste Beruf, den man sich vorstellen kann. Natürlich musste ich immer auf meine Figur achten. Einfach drauf los essen ging nicht. Ich habe freiwillig gehungert, das tue ich auch heute noch. Aber das ist unter den Tänzern üblich. Heute gehe ich zwei Mal im Jahr in die Staatsoper und male sehr viel. Ich bin eine Individualistin und ich kann mich noch nicht so gut damit anfreunden, dass ich hier bin. Aber es wird von Tag zu Tag besser. Die Menschen, die hier sind, machen es mir leichter und dafür bin ich dankbar.

Helga Koch

Ich sage immer, dass die Kindheit einen prägt. Mich hat sie zumindest geprägt. Deswegen bin ich allen Dingen so positiv aufgeschlossen. Zuerst sehe ich das Gute in Einem, bevor ich anfange zu zweifeln, aber das dauert nicht lange an. Ich lebe gerne und bin froh, dass ich geistig so fit bin. Wenn ich an die Kriegsjahre denke, dann denke ich nicht an Hass. Ganz ehrlich, ich habe die Hitlerzeit bewusst erlebt als BDM. Ich war im Bund Deutscher Mädchen. Mich hat die Gemeinschaft fasziniert. Man war nie alleine. Ich bin sehr gerne mit Menschen zusammen. Als junges Mädchen sieht man nichts so, wie es die Erwachsenen sehen. Deswegen habe ich mir auch nichts dabei gedacht, als ich mich mit den anderen Mädchen traf. Für mich war es so, als ob ich bei den Pfadfindern war. Was wirklich passierte, das glaubte keiner. Wie denn auch? Wir waren einfach nur Kinder und Jugendliche.

Keiner von uns stellte sich die Frage, was an der Hitlerjungend so schlecht sei. Ich selbst habe ein Jahr auf einem Bauernhof gearbeitet. Das Jahr hat mich sehr geprägt, es war mühsam und eine harte Zeit, aber doch nützlich und spannend. Mit 16 Jahren lernte ich meinen Mann kennen. Er war im Manöver und neun Jahre älter als ich. Er sagte zu den anderen Soldaten „sie wird meine Frau“ und zeigte auf mich. Ich wurde seine Frau und es war eine große, starke und innige Liebe. Wir durften noch unseren gemeinsamen 50. Hochzeitstag feiern bevor er starb. Mein Mann war Berufssoldat, eigentlich wollte er Förster werden, aber dann musste er Schneider lernen. Für mich war das ein Glück. Er war Gewandmeister am Theater und er nähte mir die schönsten Kleider – ich war wirklich verwöhnt.

Wenn ich mein Leben so betrachte, dann ist es sehr bunt und schön. Ich habe viel lernen dürfen und bin auch dankbar dafür. Als ich eine Schulung zur Sterbebegleitung machte, habe ich es sehr dankbar und bewusst aufgenommen. Wir lernen nie aus, ist das nicht wunderbar? Als ich nach Füssen kam, war ich schon in einem betagten Alter, aber ab wann ist man wirklich alt? Mein Sohn, zu dem ich ein sehr herzliches Verhältnis habe, lebt hier in Füssen mit seiner Frau. Er hat das gleiche Naturell wie ich. Wie sind Beide so gesellig und feiern gerne.

Aufzeichnung: Sabina Riegger
Bild: Sabina Riegger

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