FrauenMenschen

Leben zwischen zwei Kulturen

„Es geht auch anders“

Viele Menschen sind der Meinung, dass der Islam und Emanzipation nicht vereinbar seien, darunter auch die Feministin Alice Schwarzer. Muslima sind heutzutage gefordert sich zwischen dem patriarchalischen, islamische oder dem westlichen, demokratischen Wertesystem zu entscheiden. Doch durch den steigenden Bekanntheitsgrad muslimischer Frauenbewegungen scheint wohl auch ein Mittelweg möglich, indem sie versuchen eine islamfreundliche Richtung der Emanzipation einzuschlagen und setzten sich für ihre Rechte ein, ohne dabei den Koran zu missachten.

Doch man braucht nicht gleich Teil einer Bewegung zu sein, um sich als unabhängige Muslima bezeichnen zu können. Wie zum Beispiel Pelin Lermi. Sie ist hier geboren, machte 2010 ihr Abitur, studiert noch Jura, bis sie im September ihre Ausbildung bei der Polizei anfangen wird.  Sie ist das perfekte Bild einer jungen emanzipierten Frau, die gekonnt zwischen den zwei Kulturen switschen kann. „In gebildeten Familien ist die Frage der Emanzipation nicht wirklich eine Frage“, erzählt die junge Frau. „Die Frauen leben offen. Es ist wie überall, Bildung ist existenziell, es ist der Grundpfeiler jeder Kultur.“

Mit nicht einmal 18 Jahren stellte sie sich zur Wahl für den Stadtrat in Füssen. Sie war die Nummer zehn und bekam einige Hundert Stimmen. Warum sie sich für ihre Geburtsstadt zur Wahl stellte, erklärt sie so: „Ich wollte in Füssen für uns Jugendliche etwas bewegen, mehr frischen Wind reinbringen.“ Dass sie es nicht in den Stadtrat geschafft hat, fand sie sehr schade „weil es sicherlich gut gewesen wäre jemand Jungen im Gremium zu haben“. Richtigen Wahlkampf konnte sie nicht betreiben, weil sie zu der Zeit in England war. Zehn Monate war sie in „De Aston“, einem englischen Schulinternat, mit vielen internationalen Schülern. „Ich war die einzige Muslima. Ich hatte viele Freunde, die Christen waren, aber in einem muslimischen Land lebten. Andersrum hatte ich auch Freunde, die Moslems waren und zum christlichen Glauben konvertiert sind. Ich fand es sehr interessant, weil sich Keiner am Glauben des Anderen gestört hat. Es war eine sehr große Toleranz da, die man hier bei uns leider nicht so findet. Der moslemische Glauben wird oft nicht wirklich verstanden. Es sind die Fanatiker, die unseren Glauben schlecht aussehen lassen.“ Pelin Lermi meint damit „gestrandete Persönlichkeiten“, die auf der Suche sind, nicht aber wirklich ihren Weg finden. Sie findet es schade, irgendwie auch traurig, dass gerade solche Menschen in die Fänge solcher Extremisten kommen und die Realität verlieren. „Glauben ist wie Essen. Ernährt man sich schlecht, wird man krank. Isst man zu viel, wird man dick. Man muss das gewisse Mittelmaß finden – und manche können es leider nicht.  Zu viel von allem ist nichts“, erklärt sie unkompliziert.

Eine 2008 vom Institut Demoskopie Allensbach in Auftrag gegebene Studie belegt, dass 91 Prozent der Deutschen den Islam und die Unterdrückung der Frau automatisch miteinander verknüpfen. Tragen dafür Extremfälle die Schuld, von denen Medien immer wieder berichten? Jedenfalls scheinen sie bei der westlichen Welt ein sehr konservatives und veraltetes Bild gegenüber der morgenländischen Kultur zu hinterlassen. Warum die alte Generation noch immer strenge Ansichten und andere Wertvorstellungen hat, versucht die 23-Jährige zu erklären. „Sicherlich ist es die Erziehung und auch das Umfeld die einen prägt. Man traut sich nicht aus der Reihe zu tanzen, man geht den Weg, den man kennt und scheut sich andere Wege zu erschließen, aus Angst vor den Reaktionen, die eventuell kommen könnten. Ich glaube, man wird da sehr schnell verurteilt – wer will schon freiwillig von der türkischen Community ausgegrenzt werden.“  Ob sie ihren Glauben lebt, definiert sie so: „Es kommt darauf an, wie Sie das interpretieren. Ich lebe meinen Glauben auf meine eigene Art und Weise, so wie ich den Glauben sehe. Was ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren kann, mache ich nicht. Ich habe ein sozial adäquates Verhalten beigebracht bekommen und nachdem lebe ich.“

Leben zwischen zwei Welten, das kennt die junge Frau bereits. Wenn sie in der Türkei ist, dann wird sie als Touristin angesehen und weniger als Einheimische. Sie hat es gelernt sich anzupassen, so wie die Situation es erfordert. Doch für immer in der Türkei zu leben, das kann sich Pelin Lermi nicht so ganz vorstellen, weil sie nicht weiß, wie es ist in einem Land zu leben, das sie eigentlich nur aus dem Urlaub kennt. „Ich spreche auch besser deutsch als türkisch“, sagt sie nachdenklich. Obwohl sie Deutsche ist, sieht sich die Studentin eher als „beides“ an. „Ich bin Deutsche und Türkin, weil ich von beiden Kulturen etwas habe und auch beide Kulturen schätze. Ich bin nicht gespalten oder unsicher deswegen. Eigentlich haben wir, die dritte und vierte Generation von Gastarbeitern, Glück, dass wir aus beiden Kulturkreisen das Beste herausnehmen können. Es ist eine Bereicherung.“ Für die Füssenerin steht der Mensch im Vordergrund, nicht seine Herkunft oder Religion. Pelin Lermi ist eine von vielen jungen Menschen, die den Weg zum besseren Verständnis von Glauben und Kultur nach außen transportiert. Manchmal eckt sie auch an, „aber das ist gut so“, meint sie ernst, „das rüttelt Manche auf und dann fangen sie an zu diskutieren. Ich denke, wir Jungen sind gefordert, um Aufklärungsarbeit zu leisten – auf beiden Seiten.“

Text · Bild: Sabina Riegger

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