Kolumne

Ganz normal ist auch toll

Ach, übrigens…

„Es tut uns wirklich leid, aber derzeit sind all unsere Mitarbeiter im Gespräch. Bitte haben Sie noch einen Moment Geduld, der nächste freie Mitarbeiter ist bereits für Sie reserviert…“

Kommt es mir nur so vor, oder warte ich tatsächlich seit einer halben Ewigkeit auf einen Mitarbeiter des Serviceteams? Aller guten Dinge sind drei? Niemals, aller guten Dinge sind fünf! Beim fünften Anrufversuch und nach geschlagenen sieben Minuten in der Warteschleife des Kabelnetzbetreibers nimmt endlich jemand den Hörer am anderen Ende der Leitung ab und erlöst mich von dieser gräusligen „Fahrstuhlmusik“, den etlichen Lockangeboten und den menütlichen Entschuldigungen der elektronischen Bandansage. Jetzt also, um neun Uhr abends, kann ich klären, wieso unser nagelneuer Media-Receiver streikt – das dachte ich jedenfalls. Denn nach gefühlten zwei Sekunden war ich schon wieder raus. Ich wurde einfach aus der Leitung geworfen!

Schön, das hab ich jetzt davon! Hätten wir uns bloß nicht dieses neue Entertainment-Paket angeschafft. Mit dem alten Fernseher ist so etwas nicht passiert. Wie auch? Da musste der Receiver weder zurückgesetzt, noch neu gestartet werden. Da gab es auch keine elektronische „Hilfetaste“ im Hauptmenü, die den Fehler beim Durchlaufen des Programms finden sollte. Jetzt blinkt der Receiver bei Fehlermeldungen sogar und mitten auf dem Mini-Display der Fernbedienung steht: „Help“. Hilfe!? Ja! Aber nicht mehr von einer Fernbedienung, einer virtuellen Schnickschnack Menülounge mit zig Einstellungs-und Optionsmöglichkeiten, sondern von einem echten, lebenden und geistig anwesenden Menschen, am besten noch von der Servicehotline! Nachdem ich allmählich den Dreh mit dem neuen Fernsehprogramm und der sonderbaren Fernbedienung raus hatte und die anfänglichen Zweifel verflogen waren, hab mich fast schon ein bisschen gefreut die Weiten des modernen Fernsehens zu erkunden. Für mich, als absoluten Technik-Muffel, eine spannende Expedition auf ungewohntem Terrain. Unzählige Sender in den unterschiedlichsten Sprachen, dreifache Aufnahme-Möglichkeiten von Filmen, eine Elektronische Fernsehzeitschrift samt 10-tägiger Vorschau und natürlich das zeitversetzte Fernsehen. Da gibt es bestimmt Einiges zu sehen. Aber gut, was soll´s, da ich niemanden in der Service-Zentrale erreiche, lese ich eben Siddhartha von Herrmann Hesse, was ich eigentlich eh schon lägst tun wollte.

Und die 55 Euro für das neue „Fernseh-Erlebnis“ samt Internet und Telefon hab ich diesen Monat wohl fast umsonst bezahlt. Ganz zu schweigen von den 18 Euro Rundfunkbeitrag. Die GEZ interessiert es bestimmt nicht, dass ich keine Leistung des Kabelnetzbetreibers erhalte, Hauptsache der Rubel rollt. Beim nächsten Anlauf meines Anruf-Marathons erbarmte sich mir doch ein Servicemitarbeiter, um mir schließlich zu erklären, dass eine Kollegin einen falschen Tarif für uns eingebucht hat. Und um weiterhin wieder fernsehschauen zu können, müssen wir ab jetzt weitere fünf Euro monatlich bezahlen. Irgendwie schon frech, erst geht Ewigkeiten niemand ans Telefon und wenn doch, dann wird man auch noch abgezockt.

Ich komme mir jetzt so vor, als hätte ich bei Jaguar nach einem richtig tollen Auto gefragt und dafür vom Verkäufer ein Bobby Car bekommen. 60 Euro für modernes Fernsehen? Das ganz normale vorher war auch irgendwie toll…

Herzlichst, V. Ademi

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