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„Es gibt keine Schwierigkeiten, nur neue Erfahrungen“

Füssen. Bei all den Schwierigkeiten und Problemen, denen man sich im Alltag stellen muss, vergisst man schnell, dass es in anderen Teilen der Welt ganz anders geartete Probleme gibt. Wenn man der lebenslustigen Südafrikanerin Nadja Barnard das erste Mal begegnet, würde man niemals vermuten, dass sie in ihrem Alter bereits auf eine besonders bewegte und schwierige Vergangenheit zurückblicken kann. Seit September diesen Jahres absolviert sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau im Luitpoldpark Hotel in Füssen. Wie viele andere junge Frauen hat sie große Träume, die auf den ersten Blick noch recht unrealistisch erscheinen. Aber wie es eben so ist –  manchmal ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick erscheint.

Schon der Familienstammbaum lässt erkennen, dass Nadja ein Kind der Globalisierung ist. Ihre Mutter hatte deutsch-französische Wurzeln. Sie ist vor vielen Jahren Nadjas Onkel nach Südafrika gefolgt und lernte dort Nadjas Vater kennen – einen gebürtigen Portugiesen. Gemeinsam brachten die Beiden ihre Tochter im südafrikanischen Johannesburg zur Welt. Als Nadja 2 Jahre alt war, verstarb ihre Mutter an Krebs. Fortan wuchs sie bis zu ihrem 10. Lebensjahr bei ihrem Vater auf, dann zog sie zu Onkel und Tante nach Pretoria, der Hauptstadt des Landes. Als sie 15 Jahre alt war, ging sie zurück zu ihrem Vater. „Leider waren wir sehr verstritten, deswegen bin ich ein Jahr später wieder ausgezogen“, berichtet sie. „Über eine Schulfreundin bekam ich erst einen Schlafplatz in einem der Townships außerhalb von Johannesburg. Das war definitiv die schlimmste Zeit meines Lebens. So viel Armut.. Es gibt keine Dusche, keine Toilette. Man wäscht sich mit großen Plastikeimern. Und wenn man Glück hat, findet sich vielleicht ein kleiner Herd in der Hütte. Überhaupt gibt es nach wie vor noch viel Armut in Südafrika.“ Nach ihrem Auszug verstarb ihr Vater samt ihrer kleinen Schwester und ihrem kleinen Bruder bei einem Autounfall. Nadja war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt. „Es war schwer. Aber alle haben mir geholfen. Die Familie meiner Freundin war für mich da. Auch meine Lehrerin bemühte sich wahnsinnig um mich“, erinnert sie sich. Schließlich wurde Nadja von der Familie ihrer Freundin adoptiert.

Ein weiter Weg

Nadja absolvierte in Johannesburg ihr Abitur an einer englisch-afrikanischen Schule. Auch daheim wurde viel Englisch gesprochen. Englisch und Afrikaans gehören zu den elf offiziellen Sprachen in Südafrika. „In Südafrika muss jeder 12 Jahre die Schule besuchen, um den südafrikanischen Landesabschluss (Matrik) zu erreichen. Wer dann einen bestimmten Durchschnitt erreicht hat, darf anschließend studieren“, erklärt Nadja. „Leider ist das Studium sehr teuer. Es gibt nach der Schule keine Ausbildung, man kann nur Praktikas absolvieren, aber auch die kosten Geld. Derzeit ist es einfach so, dass man ohne Studium keinen Job bekommt oder nur schlecht bezahlte Arbeit findet. Deshalb bin ich direkt nach der Schule nach Deutschland gekommen.“ Deutschland kannte sie schon länger, als Kind besuchte sie ein paar Mal ihre Großeltern in Schongau. Die ersten neun Monate arbeitete sie als Au Pair bei einer Münchener Familie. Anschließend ging Nadja nach Schwangau, wo auch ihre große Schwester bereits seit 6 Jahren lebt. „Eigentlich wollte ich nur für ein Jahr nach Deutschlang kommen. Aber München war so super, ich liebe diese Stadt. Nur ist das Leben dort sehr teuer, darum bin ich erst einmal zu meiner Schwester gezogen“, erzählt die 19-Jährige. „Dann habe ich für einige Monate am Ticket-Center in Hohenschwangau gejobbt und jetzt zum Glück die Ausbildungsstelle im Luitpoldpark Hotel bekommen. Vor allem wegen meiner Englisch-Kenntnisse habe ich mich für diese Ausbildung entschieden.“ Hört man Nadja sprechen, glaubt man kaum, dass sie erst seit zwei Jahren in Deutschland lebt, so gut ist ihre Aussprache. Nur gelegentlich sucht sie nach einem Wort und der südafrikanische Akzent schimmert ein wenig durch. „Anfangs habe ich in München eine Sprachschule besucht, aber das war mir schnell zu stressig. Also entschied ich, mir die Sprache selbst beizubringen“, erklärt Nadja. Und der Erfolg gibt ihr Recht- erst kürzlich hat sie in der Berufsschule in Bad Wörrishofen im Fach Deutsch eine Eins kassiert.

Heimat und die Deutschen

Trotz der schwierigen Verhältnisse vermisst Nadja vieles von ihrer Heimat. „Man kann das Leben dort nicht mit Deutschland vergleichen. Das Wetter ist immer super. Ich vermisse, dass sonntags oder am Abend die Geschäfte geöffnet haben. Es gibt in Südafrika auch viel mehr Getränkesorten als hier. Aber das Land hat auch seine Schattenseiten. Die Kriminalität ist sehr hoch, man lebt ständig in Angst und kann Abends als Frau nicht auf die Straße. Dennoch ist es meine Heimat. Jedoch glaube ich nicht, dass ich dorthin zurückkehren werde. Vielleicht mal für ein Jahr oder um Urlaub zu machen“, erzählt sie rückblickend. „Gern würde ich mal wieder meine Lieblingsgerichte essen. Aber da ich hier nicht die Zutaten bekomme, weiche ich auf die deutsche Küche aus. Im Luitpold arbeite ich derzeit auch in der Küche und bin sehr glücklich dort. Ich liebe kochen. Schon als 10-Jährige habe ich viel mit meinem Onkel gekocht. Dann gab es typische Spezialtäten wie Pie, Pap oder Chakalaka.“ Auf die Frage, ob ihr die Eingewöhnung an das Leben hier schwer fiel, verneinte sie prompt. „Ich freue mich immer auf etwas Neues. Nach ein paar Monaten hat mir Südafrika zwar gefehlt, aber ich habe mich schnell eingelebt. Für mich gibt es keine Schwierigkeiten, nur neue Erfahrungen. Einzig die deutsche Mentalität bereitet mir nach wie vor Kopfzerbrechen. Es ist schwer, neue Freunde zu finden. Ich finde, vor allem die jungen Leute unter 25 Jahren sind sehr verschlossen. Bei Älteren sieht es dann schon wieder etwas anders aus.“

Hollywood

Für ihre Zukunft hat Nadja schon große Pläne. Sie will Schauspielerin werden. Und da ihre Muttersprache Englisch ist, sieht sie sich eher in London, als in Deutschland. „Meine ganze Adoptiv-Familie war beim Film beschäftigt. Mein Vater war Kameramann, der sich in Südafrika einen großen Namen gemacht hat. Und als ich klein war, habe ich mit meiner Schwester in Serien mitgespielt. Schon seit ich 8 Jahre alt war, wollte ich Schauspielerin werden. Nur leider würde ich damit derzeit in meiner Heimat kein Geld verdienen. Also muss ich woanders hingehen. Vielleicht nach London. Dort kann ich dann jobben und nebenbei zu Castings gehen. Hollywood wäre schon etwas, aber das ist eine ganz andere Liga. Bleiben wir lieber realistisch“, erklärt Nadja schmunzelnd.


Text · Bild: Sven Köhler

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