Menschen

Nalin Bulathsinhala, Hotelfachmann aus Sri Lanka

„Wir sind alle Ausländer“

Füssen.      Es war 1990, als der junge Nalin voller Erwartungen nach Deutschland kam. Er wollte einen Neubeginn wagen, weg von der Tourismusbranche, hin zur Gastronomie und Hotellerie. Nalin stammt aus einer typischen mittelständischen singhalesischen Familie mit acht Geschwistern. Sein Geburtsort Kandy liegt im Inland von Sri Lanka und hat bei der einheimischen Bevölkerung den Beinamen „Letztes Königreich“ bekommen. Diese Bezeichnung ist ein Relikt aus vergangenen Kolonialzeiten, als die Europäer in den Inselstaat einmarschierten und die Herrschaft über die Bevölkerung an sich rissen. Die Kolonialisten hielten sich vorwiegend an den Küstengebieten auf, drangen aber nie richtig ins Inland vor. Nur das Königreich Kandy konnte sich über zwei Jahrhunderte behaupten, bis 1815 das gesamte Land zum Teil des Britischen Empires wurde.

Trotz, oder gerade wegen dieser bewegten Geschichte Sri Lankas, konnten Nalins Eltern ihren neun Kindern ein grundlegendes Verständnis für globales Denken vermitteln. „Meine Eltern waren nie in Europa, aber sie schätzen die europäische Kultur“, erinnert sich Nalin. „Die bewegte Geschichte meines Landes als europäische Kolonie versetzte sie in die Lage, ein Stück der europäischen Kultur kennenzulernen. Damit konnten uns unsere Eltern einen gewissen Grad an Globalität nahebringen.“ Nalin erlernte in seinem Geburtsland den Beruf des Touristikfachmanns, wollte aber wenig später seine Möglichkeiten nutzen und ging für eine Ausbildung als Hotelfachmann nach Deutschland.

Seine ersten Erfahrungen sammelte er in Bielefeld, wo er diese Ausbildung absolvierte.

„Es war schwer, mich an das Leben hier zu gewöhnen. In Sri Lanka hat man immer seine Familie, die einem den Rücken stärkt. In Deutschland dagegen ist jeder auf sich allein gestellt. Ich hatte zu Beginn einige Hürden zu überwinden, es war wirklich eine harte Zeit. In Sri Lanka kennt man beispielsweise keine vier Jahreszeiten. Der erste Winter in Deutschland war also entsprechend belastend für mich.“ Jetzt fährt der gläubige Buddhist seit acht Jahren Ski, geht viel wandern und genießt den Winter. Auf den Winter könnte er inzwischen nicht mehr verzichten, erklärt er mit einem Lächeln. „Heimat ist dort, wo man lebt und wo man sich wohlfühlt. Mehr als eine Heimat kann man nicht haben, das funktioniert nicht. Für mich ist das Allgäu zur Heimat geworden.“

Nalin arbeitete in einigen Hotels in verschiedenen deutschen Städten, bis es ihn vor zehn Jahren ins Allgäu nach Füssen verschlug. Vor allem wegen der Familie kam er hierher und trat seine Arbeit im Luitpoldpark-Hotel an. In Bielefeld lernte er schon damals seine jetzige Lebensgefährtin kennen, mit der er heute gemeinsam auf einem abgelegenen Bauerngut inmitten der Allgäuer Natur lebt. „Ich liebe die Natur. In Sri Lanka gibt es auch so viel Grün und Berge. Was ich von dort mitgebracht habe, ist meine Leidenschaft zum Wandern. Jedes Mal, wenn ich einen Berg sehe, packt mich das Gipfelfieber und ich muss dort hinauf.“ Doch nicht nur seine Lust zu wandern brachte er mit. Auch die singhalesische Gastfreundlichkeit konnte er nie ablegen. „Ich komme aus einem Land, in dem Freundlichkeit und Höflichkeit vorherrscht und man Fremden mit einem Lächeln begegnet.“ Gerade diese natürliche Freundlichkeit, die Nalins Wesen auszeichnet, ist mit ein Grund für seinen beruflichen Erfolg. „Mein Beruf hat mich nicht gesucht, aber ich habe meinen Beruf gefunden“, erklärt er.

Einmal im Jahr fährt er mit seiner Lebensgefährtin nach Sri Lanka, um seine Familie zu besuchen.

Doch nicht nur sein Elternhaus ist das Ziel der weiten Reise, auch die Betreuung eines Mädchen-Waisenhauses ist ein wichtiges Anliegen, um jedes Jahr zu seinem Geburtsland zurückzukehren. Das Waisenhaus wurde nach der Tsunami-Katastrophe 2006 eröffnet, die große Teile der Ost- und Südküste sowie der Westküste südlich von Colombo verwüstete und 45.000 Menschen das Leben kostete. „Jeder hat eine Verpflichtung seinem Vaterland gegenüber. Man sollte irgendwie Danke sagen.“ Anfangs waren es 79 Mädchen, die hier unterkamen, jetzt sind es noch 50.
Ob er jemals nach Sri Lanka zurückgehen wird, kann Nalin nicht sagen. Zu groß ist die Sorge, sein Leben hier zurückzulassen und in seinem Geburtsland keine Heimat mehr vorzufinden. Schließlich kann man nur eine Heimat haben.

 

Text · Bild: Sven Köhler

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