Menschen

Die Streetworker von Reutte

Reutte.    Streetworker Andreas Nigg ist wieder einmal unterwegs auf den Straßen von Reutte, in Parks oder anderen öffentlichen Plätzen. Mit seiner zerrissenen Jeans und den langen Haaren, die meist zu einem  Zopf zusammengebunden sind, und der großen Umhängetasche sieht er aus wie Einer von ihnen: Das sind die Jugendlichen, die sich abseits der Schulen oder Kneipen treffen, nicht alleine sein wollen, vielleicht heimlich Alkohol trinken, weil es auf öffentlichen Plätzen in Reutte verboten ist. Der 33-Jährige kennt sie schon lange. Sie vertrauen ihm inzwischen und sind froh, dass einer da ist, der ihnen zuhört bei Liebeskummer, Stress in der Schule, Bewerbung schreiben, sie unterstützt in dem, was sie tun wollen. Aber nicht alle, die herumsitzen, haben Probleme, und auch für sie hat er Zeit, diskutiert, oder hört zu.

2009 wurde die Stelle ausgeschrieben und Andreas Nigg war einer der Bewerber. „Ich habe immer schon gern mit Jugendlichen gearbeitet. Früher war ich Pfadfinder und mit 18 Jahren dann Pfadfinderleiter. Ich nehme mir Zeit für die Jugendlichen, ob als Pfadfinderleiter oder als Jugendarbeiter auf der Straße, und das brauchen sie.“

Der sportliche junge Mann, der in seiner Freizeit klettert, hat eigentlich Tischler, dann noch Zimmermann gelernt und später den Natur- und Wildnistrainer. Er unternimmt viel mit seinen Pfadfindern in der Natur und findet, dass die Erwachsenen zwar immer davon reden, dass die Jugend wichtig ist, aber keiner hat mehr Zeit für sie. „Wohlstandsverwahrlosung nennt man das heute. Oft arbeiten beide Eltern ganztags, und die Kinder verbringen viel Zeit alleine, aber oft mit sehr viel Geld in den Hosentaschen“, erzählt er.

Im Januar hat der Streetworker Verstärkung bekommen.

Carola Lageder kümmert sich als Jugendarbeiterin um die Mädchen. Aber Beziehungen und Vertrauen aufzubauen braucht seine Zeit und gute Jugendarbeit heißt Beziehungsarbeit.
Eine zweite Arbeitsstelle wurde möglich, weil sich die Gemeinden Breitenwang, Höfen, Lechaschau, Pflach, Vils und Wängle nun ebenfalls daran beteiligen und sie mitfinanzieren. Dieses gemeindeübergreifende Projekt war wichtig für seine Arbeit, „denn wenn ich die Jugendlichen auf öffentlichen Plätzen anspreche, kann ich nicht sagen: Du bist kein Reuttener, darum rede ich nicht mit Dir.“ Reutte ist das Schulzentrum im Außerfern, und so ergibt es sich automatisch, dass Jugendliche aus dem ganzen Außerfern im Park herumsitzen oder eine Ansprechperson brauchen.
Die Zusatz- Ausbildung zum Integrativen Systemischen Berater hat Andreas Nigg sehr dabei geholfen, die Zusammenhänge und Hintergründe für ihr Verhalten zu verstehen, besser auf Jugendliche zuzugehen,  Ziele der Jugendlichen zu definieren und ihre Ressourcen und Stärken herauszuarbeiten.

Es gab immer wieder Probleme mit Alkohol und Randalen in Reutte.

Das war sicher ein Grund, warum der ehemalige Bürgermeister Helmut Wiesenegg Alkohol in öffentlichen Räumen verboten und mit einer Höchststrafe von 1.850 Euro  belegt hat. Erwachsene drohen mit Strafe, wenn sie keinen anderen Weg wissen, das Problem zu lösen.

Darum  macht der Streetworker gerade eine Ausbildung zum Anti-Gewalttrainer. „Gewalt wird immer mehr Thema, und ich möchte lernen, mit Jugendlichen präventiv gegen Gewalt zu arbeiten.“

Andreas Nigg denkt, es ist der Leistungsdruck in unserer Gesellschaft, der daran schuld ist, dass die Jugendlichen sich betrinken und randalieren. Der Stress fängt schon mit zehn Jahren in der Schule an, wo sie von Termin zu Termin hetzen.

„Unsere Gesellschaft schafft immer mehr Räume mit Konsumzwang. In der Kneipe müssen sie etwas konsumieren und es ist teuer, und andererseits wird ihnen immer mehr verboten in öffentlichen Parks. Sie dürfen dort nicht trinken, auf dem Rasen nicht Fußball spielen, oder sich sonst irgendwie austoben.
Das Alkoholverbot wurde geschaffen, um Jugendliche zu beschützen. Aber Jugendliche orientieren sich an Erwachsenen. Und die sind schlechte Vorbilder.“

Er möchte mit Jugendlichen darüber reden, was für Folgen die Gewalt  hat, warum Gewalt entsteht, und welche alternativen Lösungen es gibt. Gewalt fängt ja schon zu Hause an. „Aber es gibt kein Patentrezept, wie man den Jugendlichen erreicht, da jeder Jugendliche unterschiedlich ist. Manche erreiche ich über die Natur, über den Erlebnistrainer, manche durch Gespräche, es ist ganz verschieden.“

Text · Bild: Christine Schneider

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