FrauenMenschen

Im Gespräch mit Ulrike Aicher

Auf den Spuren von wilden Frauen und Saligen

Pfronten.    Schon das „Gartentürl“ ist etwas Besonderes. Die Haselzweige hat ihr Mann aneinander gereiht und an einen Querbalken genagelt. Sie bilden nach oben einen Bogen. Oben, an einem Zweig, steckt noch ein Schneckenhaus. Rechts vom Eingang steht ein alter Eibenbaum, die Wächterin zur Unterwelt. Das Holzhaus mit den Schindeln wirkt einladend. Ich klingle und Ulrike Aicher öffnet mir die Türe. Sie ist schlank, mit zart-herben Gesichtszügen und schwarzen, eher kurzen Haaren, die von Silbersträhnen durchzogen sind.

Ich höre einen Hund bellen und Ulrike meint, ich brauche keine Angst zu haben. „Er tut nichts. Haben Sie Angst vor Hunden? Er ist nur schlecht erzogen und springt gern hoch.“ Gleich beim Eingang steht ein interessantes Kunstwerk. „Von meinem Künstlerfreund Herbert Biller. Es ist ein Klangkörper, und ich spiele auch manchmal darauf und singe dazu.“ Das „Instrument“ hat nur eine Saite zum Zupfen und Schlagen. Oben drauf sitzt eine von Ulrike selbst gemachte Puppe. „Das ist Brigit“, erklärt sie. Brigit ist die Lichtgöttin, und ich habe sie extra für diese Jahreszeit gemacht.“ Ihr Kleid ist weiß, als Wintergöttin. Der goldene Saum am Kleid steht für die Sonne. „Und unter ihren Füßen sprießen die Frühlingsblumen, heißt es.“ Urikes Stimme klingt schwärmerisch. „Sie ist die Göttin der Heilkunst und des Feuers. Sie weckt die Samen auf und lockt sie mit ihrem Feuer aus der Erde. Die vielen Bilder an der Wand- auch von ihrem Künstlerfreund, faszinieren mich wegen ihrer archaisch wirkenden Symbole und Farben.
Wir sitzen am großen Tisch im gemütlichen Wohnzimmer und Ulrike erzählt: „Fast 20 Jahre habe ich als Buchhändlerin gearbeitet und mit 36 Jahren war mir klar, dass die Zeit jetzt vorbei ist. Ich wollte mich verändern.“ Zufällig las sie in der Zeitung von einer Kulturführerausbildung. Damals wusste sie noch nicht, dass sie mit dieser Ausbildung eine Reise antreten würde. Eine Reise in die Tiefen ihrer eigenen Seele, in neue Dimensionen, eine Reise in eine neue Spiritualität und tiefere Wahrheit des Lebens. „Ursprünglich wollte ich privat nur meine Geschichtslöcher stopfen“, lacht sie ihr seltenes Lachen. „Und dann las ich Sagenbücher bis tief in die Nacht, so sehr haben mich die Geschichten fasziniert.“ Ulrike hat sich dann als Sagenerzählerin spezialisiert.

Auch war sie immer interessiert an Kunst und hat dann „die kleine Galerie“ in Schwangau gegründet. Wie es auf ihrem Weg nicht anders sein konnte, lud sie Künstlerinnen ein, die sich mit einem tieferen Naturverständnis, mit Mythen und mit archaischen Frauengestalten beschäftigten. Vor allem die Bilder von Cambra Maria Skade waren für sie wegweisend. „Ich sah einmal ein Bild von ihr an einer Wand hängen und wollte ihre Bilder unbedingt ausstellen, so fasziniert haben mich ihre Frauengestalten. Da war schon klar, dass das mein Thema wird, obwohl ich es erst viel später wusste.“ Auch Wolf-Dieter Storl, eines ihrer Vorbilder, mit dem sie sich sehr verbunden fühlt, schreibt in seinen Kräuterbüchern viel über die weisen Frauen. Sie hat viel von ihm gelernt.

„Vor sechs Jahren wurde ich sehr krank. Ich war dadurch auch seelisch am Ende. Damals bekam ich Eingebungen aus der anderen Welt. In dieser schlimmen Zeit habe ich die tiefe Wahrheit der anderen Welt, wie der Allgäuer sagt, selbst erlebt.“ Auch die Heilkräuter hat sie damals entdeckt. „Ich habe erkannt, das wenn wir den Pflanzen und Tieren zugestehen lebendige, geistige Wesen zu sein, werden wir sehr viel Hilfe erfahren.“ Mit nachdenklicher Miene erzählt Ulrike, dass sie immer ein sehr misstrauischer und kritischer Mensch gewesen sei, und diese Krankheit und die Hilfe, die sie von „Drüben“ erfuhr, hat ihr Vertrauen in diese Welt sehr gestärkt, hat aber auch ihr Gottesbild sehr verändert. Sie glaubt nicht mehr an einen Anfang und ein Ende. Sie glaubt an Karma, Wiedergeburt. Und „ich glaube zutiefst an Geister“, betont sie.

Auf einer besonderen Reise

Wenn sie von der Natur, dem Jahreszyklus, auch den Ruhephasen in der Natur, den weisen Frauen und Menschen aus der frühen Zeit, der Erde als heilendes Wesen spricht, ist sie in ihrem Element. Es wirkt auch sehr stimmig zu den vielen Erdfarben in ihrem Haus. Der Teppich, die Bilder an der Wand, der Holzboden und sogar ihre Kleidung. Sie trägt einen erdfarbenen Wollpulli, einen braunen Schal mit weinrotem und schwarzem Muster und eine braune, eckige Brille. Nur die blaue Jeans wirkt wie ein Farbtupfer im Bild.
Vielleicht hat Ulrike Aicher diese Reise damals auch angetreten, weil sie die weise, wilde Frau in sich selbst gesucht hat – ganz intuitiv ahnend, dass da mehr in ihr steckt, als sie weiß. Es drückt sich wohl auch in ihrer Sehnsucht aus „als Frau frei zu werden von zum Teil unbewussten Rollenerwartungen und kollektivem Druck. Und mit den Kindern und Kindeskindern zu einer neuen Wahrnehmung der Welt zu kommen, mit neuem Respekt der Natur gegenüber. Man möchte die Ruhephasen als menschliches Bedürfnis achten und respektieren lernen.“

Unbemerkt hat sie die getigerte Katze neben mich auf die Bank gelegt. Sie streckt alle Viere von sich und döst, oder schaut mich zwischendurch unverwandt an. Sie kann es sich leisten, die Ruhephasen im Jahreszyklus zu verschlafen. Salem ist ihr Name und bedeutet Heil und Frieden. Auch die weiße Hundemischung liegt im Korb und döst, oder schaut mich mit den dunkelbraunen Seehundaugen treuherzig an. Samu ist sein Name. „Er hat auch eine zweite, unberechenbare, dunkle Seite. Er wildert. Darum muss er an die Leine.“ Aber zum Licht gehört immer die Schattenwelt dazu. Die Sonne allein würde alles verbrennen, gäbe es nicht die Nacht dazu. „Das möchte ich weitergeben, dass wir alle Anteile in uns, lichte und dunkle, gute und sogenannte böse, dunkle, weibliche zusammenbringen müssen um heil zu werden.“ Ulrike gesteht sich ehrlich ein: „Es braucht viel weibliche Nahrung – auch in meinem Leben. Ich bin nämlich schon sehr männlich geprägt.“

Ulrike Aicher möchte unbedingt noch über das neues Projekt sprechen. Es ist eines ihrer geistigen Kinder. Im Frühjahr 2011 kam ihr die Idee, das Thema „Wilde Frauen und Salige“ mit Künstlern umzusetzen. Die Künstler hat sie gefunden, in Elisabeth Wintergerst fand sie eine Mitorganisatorin. Nun steht das Programm fest. Es ist ein grenzübergreifendes Projekt mit Künstlerinnen, Autorinnen, Sagenerzählerin, Wildkräuterfrau und Fotografin aus Südtirol, dem Außerfern, Allgäu und der Schweiz. „Ziel des Wochenendes ist der Austausch mit Menschen, die sich auch für dieses Thema interessieren und mehr über die unsichtbare Wirklichkeit vom Fühlen, Träumen, Ahnen wissen möchten.“

Text · Bild: Christine Schneider

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