Menschen

Der Krippenbauer Wilhelm Roth

„Nach Weihnachten ist vor Weihnachten“

Füssen.     „Als Krippenbauer betrachtet man die Welt mit anderen Augen“ erklärt Wilhelm Roth. Wo Spaziergänger am Wegesrand beispielsweise nur eine abgestorbene Baumwurzel sehen, sieht er eine Höhle. Abgebrochene Zweige oder Astgabeln könnten Bäume sein und ausgefallene Steine werden vor seinen Augen zu Hügeln und kleinen Bergformationen. Utensilien, die der leidenschaftliche Hobbyschnitzer als Kulisse benötigt. Als Kulisse, um seine in filigraner Handarbeit gefertigten Krippenfiguren in die richtige Szene zu setzen. Denn Wilhelm Roth ist Krippenbauer. Ein Hobby, das der 68-Jährige im Alter von zwölf Jahren für sich entdeckte und dessen Faszination bis heute geblieben ist.

„Bereits mein Vater baute jedes Jahr in der Adventszeit eine Krippe auf. Das Gebäude bestand damals aus kleinen Kanthölzern und einem Blatt Schleifpapier als Dach. Die Figuren waren aus Gips. Es waren ganz einfache Materialien. Eben das, was mein Vater zur Verfügung hatte. Trotzdem war die Krippe immer wunderschön“, erinnert sich Wilhelm Roth noch ganz genau an seine Kindheit. Jedes Jahr freute er sich auf diese Krippe, die für ihn einfach zu Weihnachten dazu gehörte. Im Alter von zwölf Jahren durfte er dann zum ersten Mal selbst die Verantwortung für eine Krippe übernehmen. „Martin Huber, der damalige Vorsitzende des Krippenbauvereins Füssen, betreute die Krippen in der Franziskaner- und  der Spitalkirche. Irgendwann fragte er mich, ob ich die Betreuung der Spital-Krippe übernehmen möchte“, erzählt Wilhelm Roth. Eine große Herausforderung, die der damalige Ministrant gerne annahm. Von diesem Zeitpunkt an kümmerte er sich um den Aufbau der Spital-Krippe in der Adventszeit und auch den Abbau nach Mariä Lichtmess am 2. Februar.

Besonderen Spaß machte es ihm dabei, kleine Reparaturen an den Figuren durchzuführen. „Martin Huber brachte mir bei, wie man aus Holzrohlingen kleine Hände oder Füße schnitzt und wie diese dann fachmännisch an die beschädigten Figuren angebracht werden“, erinnert sich Wilhelm Roth. Seine Leidenschaft am Schnitzen war geboren. Jedes Jahr restaurierte er nun die bestehenden Figuren, schnitzte neue Figuren hinzu oder baute andere Kulissen. „Es sollte einfach nicht immer das Gleiche sein. Ich wollte, dass die Leute immer wieder etwas Neues zum Schauen haben“, erzählt er.

Eine beruhigende Arbeit

Die Betreuung der Spital-Krippe hat der gebürtige Füssener anfangs allein und später zusammen mit seiner Frau Waltraud über die ganzen Jahre hinweg beibehalten. Nur das Figurenschnitzen ist im Laufe seiner Ausbildung zum Bäcker eingeschlafen. Bis er es vor etwa 20 Jahren aufs Neue für sich entdeckte, als ihm sein altes Schnitzwerkzeug wieder in die Hände fiel. Bei schlechtem Wetter sitzt Wilhelm Roth heute oft am Esstisch, seinem „Arbeitstisch“ im Wohnzimmer und schnitzt. Ein Bleistift, ein gröberes und drei kleinere Schnitzmesser ist alles, was er dazu an Werkzeug braucht. Aus den selbstgemachten Lindenholz-Rohlingen holt er seine kleinen Kunstwerke dann förmlich heraus. Wie die Figur am Ende aussehen soll, sieht er nämlich schon, bevor er überhaupt zu schnitzen beginnt. Die Form wird lediglich grob auf den Rohling gezeichnet. „Alles Weitere entsteht beim Schnitzen von selbst. Man hat das dann einfach im Gefühl“, erklärt Wilhelm Roth. Unzählige Figuren wie Schafe, Ziegen, Pferde, Kamele oder auch Elefanten sind so schon aus der Hand des talentierten Hobbyschnitzers entstanden.

Bewegliche Figuren

Menschliche Figuren schnitzt Wilhelm Roth allerdings nicht aus einem Stück. Um sie vielseitiger einsetzen zu können, benutzt er dafür einen beweglichen Kunststoff-Körper, an den Hände, Füße und ein Kopf aus Holz angebracht werden können (siehe Bild links). „So kann ich die Figuren einmal hinsetzen und beim nächsten Mal beispielsweise hinstellen“, klärt Wilhelm Roth auf.

Wie viel Zeit er für eine Figur benötigt, kann er nicht sagen. „Für manche brauche ich ein bis zwei Wochen. Andere gehen mir schneller von der Hand. Je mehr man übt, desto besser wird man. Auf die Zeit kommt es mir aber gar nicht an. Es ist einfach eine beruhigende Arbeit, die mir unglaublich Spaß macht und das ist das, was zählt“, so der Hobby-Schnitzer.

Teamarbeit

Waldtraud Roth hat das Hobby ihres Mannes längst für sich entdeckt. Die Figuren im Hause Roth entstehen nämlich genau genommen in Teamarbeit. Die fertig geschnitzten Meisterwerke werden von ihr liebevoll bemalt und mit der passenden Kleidung versehen. Karierte Stoffe und gestrickte Janker für die Allgäuer Krippenfiguren. Edle, mit Gold verzierte Stoffe für die orientalischen Krippenfiguren.

Auch den Aufbau zur Weihnachtszeit übernehmen sie gemeinsam. Ob die Allgäuer oder die Orientalische Krippe zu Weihnachten aufgestellt wird, entscheiden die beiden immer spontan. Viele Kisten mit Figuren, die große Boden- und Hintergrundplatte und die über die Jahre hinweg gesammelten Wurzeln, Steine, Moos, Stroh und andere natürliche Materialien werden dann zunächst einmal im Wohnzimmer gesammelt. Dann kann der Aufbau losgehen. „Die Couch muss dann immer ein wenig weichen, damit unsere Krippe auch genügend Platz hat“, schmunzelt Waldtraud Roth. Insgesamt zweieinhalb Quadratmeter nimmt die Krippe nämlich ein, wenn sie fertig aufgebaut ist.

„Als erste Szene wird traditionell ‚Die Flucht von Maria und Josef‘ aufgebaut. Darauf folgt ‚Die Herbergssuche‘, dann ‚Die Geburt‘ am 24. Dezember und zum Schluss ‚Die Heiligen Drei Könige‘“, erklärt Wilhelm Roth. Um die verschiedenen Szenen darzustellen, baut er immer die gesamte Krippe um. „Das ist das Schöne daran, dass sich die Szenerie immer wieder verändert und man immer wieder etwas Neues zum Schauen hat“, erzählt er.

Vielleicht schon die nächste Generation

Das gefällt nicht nur ihm ganz besonders gut, sondern auch seinen Kindern und Enkeln, die die Krippe jedes Jahr aufs Neue bestaunen. Einer seiner Enkel zeigt sogar großes Interesse am Krippenbau und Figurenschnitzen, was Wilhelm Roth ganz besonders freut. „Vielleicht führt er dieses Tradition ja sogar weiter, wer weiß“, lächelt der vierfache Vater und elffache Großvater.

Die Krippe am Seitenaltar in der Spitalkirche Füssen baut Wilhelm Roth zusammen mit seiner Frau traditionell in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Adventsonntag auf. Bis Heilig-Drei-König am 6. Januar 2012 wird die Krippenszene dann insgesamt drei Mal umgebaut.
Die Krippe kann täglich zu den normalen Öffnungszeiten besichtigt werden.

 

Text · Bilder: Martina Knöpfler

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