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Der Füssener Filmemacher Sebastian Heidinger und „Traumfabrik Kabul“

Amnesty International zeigt nominierten Film in „Lechflimmern“

Berlin/Füssen.    In den vergangenen Jahren dominierte das Thema Afghanistan immer wieder unsere Medien. Zahlreiche Filme, Bücher und Computerspiele beschäftigten sich seit dem Einmarsch der Amerikaner damit, doch noch immer ist uns dieses Land absolut fremd. Es fällt schwer nachzuvollziehen, wie das Leben in einem von Krieg und Terrorherrschaft zerrütteten Land aussehen mag, wie die Menschen dort ihren Alltag meistern und wie das Regime der Taliban den Umgang der Afghanen untereinander beeinflusst hat. An dieser Stelle setzt der Film „Traumfabrik Kabul“ von Sebastian Heidinger an, der im Rahmen des Lechflimmern Programms in Füssen vorgestellt wird. Er präsentiert ein Afghanistan, das wir so bisher nicht kannten. Sebastian Heidinger begleitet in seiner Dokumentation eine Afghanin, die für die Rechte der Frauen eintritt und zeigt nebenbei Bilder des Landes, die man so bisher nie zu Gesicht bekam. Füssen aktuell unterhielt sich mit dem Mann hinter dem Film, um mehr über seine Hintergründe und Intentionen zu erfahren.

Der Berliner Regisseur und Drehbuchautor wurde 1978 in Füssen geboren. Er besuchte das Füssener Gymnasium und hatte bis zu seinem Zivildienst-Antritt in Köln eigentlich nichts mit dem Thema Film am Hut. „Ich kam an ein Altersheim in Köln, das über einen hausinternen Fernsehsender verfügte, wo interne Nachrichtenbeiträge für die Senioren produziert wurden. Dies war mein erster Kontakt mit dem Medium“, erinnert sich der heute 33-Jährige. „Dort produzierte ich mit einem alten Seemann einige fiktive Dokumentationen, die später auf den schwedischen Jugendfilmtagen eine Auszeichnung erhielten.“ Direkt nach seinem Zivildienst arbeitete Heidinger dann als Autor, Produktionsassistent und Cutter in Hamburg und Berlin. „Einen strikten Karriereplan habe ich nie verfolgt. Ich bin einfach meinen Bedürfnissen gefolgt und habe das gemacht, woran ich Spaß hatte“, erklärt er ergänzend. „Eigentlich wollte ich mir alles unverschult aneignen und mein Können ohne Theorieunterricht mit praktischer Arbeit erweitern. Doch am Ende kam es anders und ich absolvierte von 2002 bis 2007 ein Film- und Fernseh-Regie-Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Diese Zeit war im Nachhinein weniger theoretisch als ich erwartet hatte und ich konnte viele praktische Dinge erlernen, die mir heute helfen. Mein selbst finanzierter Abschlussfilm „Drifter“ war dann ein guter Ausstieg aus der Filmhochschule. Er lief auf der Berlinale und erhielt eine Auszeichnung.“ „Drifter“ wird, wie auch „Traumfabrik Kabul“, während des Lechflimmerns vorgeführt. In dieser Dokumentation begleitete Heidinger jugendliche Obdachlose am Bahnhof Zoo. Nach seinem Studium gründete Heidinger 2007 gemeinsam mit seinem ehemaligen Studienkollegen Nils Boekamp die Boekamp & Freunde Filmproduktion, 2010 die Produktionsplattform für transkulturellen Film, „neueluegen“.

Haß-Liebe Berlin

Seine Entscheidung in Berlin zu bleiben, musste er nie bereuen. Der junge Regisseur hat zwei Kinder und ist mit einer gebürtigen Berlinerin verheiratet. „Ich habe mich treiben lassen und bin hier hängen geblieben. Es war nie mein Traum, nach Berlin zu ziehen. Heute verbindet mich eine Art Haß-Liebe mit der Stadt. Sie wirkte von Anfang an in ihrer Zerrissenheit spannend auf mich. Berlin ist keine Stadt, in der man es sich gemütlich machen kann, aber sie bereichert mich und gibt mir ständig neue Impulse für meine Arbeit.“

Fremde Welten

Die Idee für „Traumfabrik Kabul“ entstand bereits vor fünf Jahren, als Heidinger von einer Hilfsorganisation die Anfrage zu einer Dokumentation über Afghanistan erhielt. Während der Vorbereitungen hörte er das erste Mal von Saba Sahar, der Protagonistin in seinem Film. „Die Produktion war damals viel breiter angelegt, doch im Verlauf der Recherchearbeiten in Kabul stellte sich schnell heraus, dass die Arbeit mit der Hilfsorganisation auf Dauer zu schwierig werden würde. Unsere Vorstellungen gingen zu weit auseinander, also lehnte ich erst einmal ab. „Traumfabrik Kabul“ entstand letztendlich als Auftragsarbeit in Kooperation mit dem ZDF und unserer Produktionsfirma. Im Gegensatz zu damals hatte ich dabei viel mehr freie Hand und konnte meine Vorstellungen umsetzen.“ Angst hatte Heidinger während der Dreharbeiten in Kabul nie. „Es war eher Unsicherheit. Wir waren in einer total fremden Welt. Doch durch die enorme Militär- und Polizeipräsenz in Kabul entstand das Gefühl, sich jederzeit frei bewegen zu können. Kabul kam uns vor wie eine Art Käseglocke. Vorsichtig waren dennoch zu jeder Zeit. Wir bewegten uns möglichst unauffällig ohne Eskorte und mieden öffentliche Plätze. Und wenn ein Teammitglied ein mulmiges Gefühl bei einem angesetzten Dreh hatte, dann brachen wir sofort ab, ohne Diskussionen“, erinnert sich der Regisseur.

Mikrokosmos Dorf

Sein nächstes Projekt ist eine Dokumentation über den Mikrokosmos eines typischen bayerischen Dorfes, in der er das Handwerk und das tägliche Leben mit all seinen Facetten festhält. Außerdem ist für Herbst 2012 ein Theaterstück mit afghanischen Flüchtlingskindern geplant. In Zukunft möchte Heidinger die Grenzen zwischen Dokumentar- und Spielfilm weiter verschwinden lassen. „Drifter“ war bereits sein erster Versuch in dieser Richtung, auch „Traumfabrik Kabul“ hebt sich durch die szenische Erzählweise und dem Ausbleiben von Interviews von herkömmlichen Dokus ab. „Ich will in meinen Werken die Normalität beschreiben und dabei auf ästhetischer wie inhaltlicher Ebene einen neuen Ansatz schaffen. Bei „Drifter“ gibt es keine lauten Momente sondern nur Alltäglichkeit. Und in „Traumfabrik Kabul“ versuchte ich, trotz der fremden Welt, mit alltäglichen Dingen eine Art Andockstelle für die Zuschauer zu schaffen, indem sie kleine Gegebenheiten aus ihrem eigenen Leben im Film wiederfinden. Das Publikum erwartet anspruchsvolle Unterhaltung, kein Zurücklehnen und Genießen. “

Sebastian Heidinger wird bei den Filmvorführungen in Füssen anwesend sein und im Anschluss den Kinobesuchern bei Frage-Antwort-Runden zur Verfügung stehen.

Text: Sven Köhler
Bilder: Sebastian Heidinger

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