FrauenMenschen

Geschichten rund um Füssen, Teil 2

Karolina Hanauer, 99 Jahre, erzählt

Füssen. Ein schöneres Geschenk hätte Margaretha Pfeiffer Karolina Hanauer kaum machen können, als ihr ein 83 Jahre altes Hemd von Philomena Miller zu zeigen. Philomena Miller war die Nählehrerin der heute 99-jährigen Füssenerin.

Dass Karolina Hanauer bei Philomena Miller Nähunterricht hatte, davon erfuhr Margaretha Pfeiffer aus unserem Magazin. Das gut erhaltene Kleidungsstück hatte die 77-jährige Margaretha Pfeiffer von der „Schneider-Wally“, die in Füssen als „Lumpen-Wally“ bekannt war.

Die „Lumpen Wally“ hatte einen ganz besonderen Wagen, daran können sich die zwei Damen heute noch erinnern. „Wenn sie mit ihrem Wagen, den sie hinter sich herzog, durch die Straßen ging, dann läutete sie mit einer Glocke, um auf sich aufmerksam zu machen“, erzählt Karolina Hanauer. „Sie war eine geschäftstüchtige Frau“, fügt Margaretha Pfeiffer hinzu. Ihr Wagen war voll gestopft mit Stoffballen und alten Gegenständen. Die Händlerin tauschte ihre Waren gegen andere, die sie vielleicht brauchte oder wieder gut umtauschen konnte. An jedem Finger hatte sie mindestens einen Ring und laut, ja laut war sie auch, aber das gehörte einfach dazu, zu einer Händlerin, die einen fahrbaren Flohmarkt mit sich zog. Im heutigen Venetianerwinkel hatte sie ihr Lager, das voll mit alten Sachen war.

Das Haus von Wally Schneider und ihrem Mann Ludwig war im Innenhof, in der Hinteren Gasse 2, gegenüber vom Altsdtadthotel „Zum Hechten“. 1973 kaufte es die Familie Pfeiffer ihnen ab und entdeckte im Dachboden des Hauses einige alte Stoffballen und eben das Hemd von Philomena Miller.

Tourismusort Füssen

In den 20er und Anfang der 30er Jahre war Füssen ein Ort, der eine gewisse Eleganz hatte. Adlige und gut situierte Leute kamen in die Lechstadt, um sich zu erholen und den Reiz, die diese schöne Stadt in der Nähe der Königsschlösser ausstrahlte, zu genießen. Es gab einige Hotels, die durchaus die elitären Gäste sehr gut beherbergen konnten. Eines davon war in der Augsburger Straße, das Hotel Neuschwanstein. Das Hotel bot einen einzigartigen Blick auf das Schloss Neuschwanstein. Es war ein elegantes Hotel mit einer Brücke, die die zwei Hälften des Hotels miteinander verband. An Silvester war das Schloss Neuschwanstein beleuchtet und alle Hotelgäste fanden sich auf der Hotelbrücke ein, um diesen märchenhaften Anblick zu genießen. Auch Sonnenwirt Alois Socher und seine Kinder sahen dem Silvester-Spektakel vom Hotel Neuschwanstein aus zu. Eine vornehme Adresse war auch das „Hotel Post“ in der Reichenstraße. Das Hotel hatte einen schönen Saal im ersten Stock. Der Hotelier hatte auch acht eigene Pferde, eine Seltenheit zu jener Zeit. „Acht Pferde zu besitzen entspricht heute etwa acht Autos zu haben“, verdeutlicht Karolina Hanauer. Sie selber hat den Saal nie betreten dürfen, es hätte ja sein können, dass sie ein „Mannsbild“ anspricht, weil sie ja nur an das eine dachten, nämlich jungen Mädchen den Kopf zu verdrehen. Dieser Ansicht war zumindest Alois Socher. Deswegen hielt er es für besser, seine Töchter streng zu erziehen. Abends weggehen, das war für Karolina Hanauer ein Ding der Unmöglichkeit, weil ein gutes, anständiges Mädchen brav zu Hause blieb.

Das Hotel de Bavaria

Hotel de Bavaria, so hieß der „Bayerische Hof“ in den zwanziger Jahren. Denn Französisch war die Sprache der Gebildeten und alles Vornehme kam aus der Weltstadt Paris. Der Garten des Hotels war wie ein Park angelegt. „Es waren wunderschöne Blumenbeete und Kieswege angelegt. Die Kellner trugen ein „gehst Hintere“, sie sahen aus wie Pinguine. Und jedes Mal, wenn sie den Herrschaften was brachten, schien es, als ob sie flögen. Sie verbeugten sich immer wieder, es wirkte alles so schrecklich nobel“, erinnert sich Karolina Hanauer. Nur reiche und vornehme Leute kehrten dort ein. Die kleinen Mädchen hatten ihre Nurse dabei, ein gebildetes Kindermädchen, das ihnen Sprachen beibrachte. Ein schöner geschwungener Zaun trennte nicht nur den Park von der Straße, sondern hielt auch die ungebetenen Besucher fern.

Der Speisesaal

Im Bayerischen Hof gab es einen großen Speisesaal, der später dann zum Stadtsaal wurde. Dieser Stadtsaal hatte eine schöne Stuckdecke. Noch heute kann sich Karolina Hanauer an die schönen Bälle und an die Theaterabende erinnern. Es war ein gesellschaftliches Ereignis, an dem man teilnehmen musste und wollte. Meistens ging sie mit ihrer Mutter dort hin. Ihr Vater, Alois Socher, hatte sich die meisten Theaterstücke bereits in Paris angeschaut, er sprach fließend Französisch, was wiederum für sein Geschäft und seine Gäste von Vorteil war. Später wurde aus dem „Hotel de Bavaria“ eine Schule mit einer Lehrküche. Hierher kamen alle Mädchen und Frauen, die schon kochen konnten, sich aber für die gehobene Küche interessierten. Die meisten Schülerinnen kamen aus Gastronomiebetrieben. Selten waren welche darunter, die aus Leidenschaft diesen Beruf ergriffen. Auch Karolina Hanauer lernte kochen – mehr schlecht als recht. „Ich war eine schlechte Köchin, dafür aber eine gute Näherin“, lacht sie heute.

Um den Gästen eine Abwechslung zu bieten, ließen sich die Wirte und Hoteliers einiges einfallen. Sie gingen mit ihren Gästen in die Natur, machten leichte Wanderungen, veranstalteten Ausflüge oder ließen den Postmann auf der Trompete blasen, so wie Alois Socher. Jeden Tag, außer am Sonntag, kam die Postkutsche am „Hotel Sonne“ vorbei, um Briefe und Pakete auszuladen. Je nachdem wie viel Arbeit er hatte, spannte er ein oder zwei Rösser vor die Postkutsche. Wenn Gäste im Haus waren, bat ihn Alois Socher gegen ein Trinkgeld, die Trompete zu spielen. Dann stand er da, in seiner gelben Postuniform und mit einem Zylinder auf dem Kopf, das Königslied anzustimmen: „Auf den Bergen wohnt die Freiheit , auf den Bergen ist es schön, wo des Königs Ludwigs II alle seine Schlösser stehen. All zu früh musst er sich trennen, fort von seinem Lieblingsort, Neuschwanstein stolze Feste, warst des Königs liebster Hort.“

Die goldenen Zwanziger

Die zwanziger Jahre wurden in Amerika die „Wilden Zwanziger“ genannt, während in Deutschland der Begriff von den „goldenen Zwanzigern“, eher zutreffend wäre. Es war die Phase von verhältnismäßiger politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Gesellschaftliche Konventionen lockerten sich, Freiräume wurden geschaffen, die Kultur erlebte einen Aufschwung und die Damenmode veränderte sich drastisch. Plötzlich waren die Kleider kürzer. Die Frauen trugen am liebsten ihre Kleider ärmellos. Eine moderne Frau hatte jetzt einen Bubikopf und rauchte in der Öffentlichkeit. In Füssen kam die Zeit auch an, aber mit viel Argwohn beobachtet. „Es war überall so eine Art Umbruch ins Moderne, mit den Kleidern fing es an. Die älteren Leute waren gar nicht davon begeistert. Sie wollten nicht diese Mode und auch nicht die Musik“, erzählt Karolina Hanauer.

Ihre Eltern haben es ihren nicht erlaubt und dennoch gab es Mädchen und Frauen, die sich dem Gerede der Leute stellten und in langen Abendkleidern ins Café gingen. Beim Wächner, dem heutigen Rathauscafé, gab es im ersten Stock ein schönes Lokal, mit einer runden Tanzfläche, zu der man ganz elegant zwei Stufen herab ging. „Da ist man nur edel angezogen hingegangen, Handschuhe bis zum Ellbogen, ein schönes Kleid, jeder wollte nur tanzen und Spaß haben. Die Wächners hatten eine wunderbare Tanzkapelle, das war die Strigel-Kapelle. Es wurden die neuesten Schlager gespielt, meistens waren es frivole Lieder“, sagt Karolina Hanauer. Auch sie hatte so ein Kleid, ärmellos, mit einer tiefen Taille und in karmensinrot. Als sie es im Institut bei den Englischen Fräulein als Sommerkleid anziehen wollte, erlaubten es die Schwestern nicht. Sie musste sich Ärmel annähen, um das Kleid zu tragen.

„Höhere Töchter“

Gute Erinnerungen an die Schule hat Karolina Hanauer nicht. „Ein gebildetes Mädchen spricht nicht über das Wetter, sondern über Kunst. Das Institut war für „Höhere Töchter“. Ich fühlte mich da sehr unwohl, vielleicht auch deswegen, weil es dort immer schon so bitterkalt war. Die zwei Krankenzimmer waren immer belegt. Das waren Zustände, die kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“

 

Text: Sabina Riegger

Bilder: Luitpoldpark Hotel (2),
Hubert Riegger Archiv (2), Sabina Riegger (1)

Verwandte Artikel

Das könnte Dich auch interessieren
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Nacht der Musik 2024