Menschen

Wenn Kinder keine Zuwendung und Liebe bekommen

28.000 Anrufe beim Kindernotruftelefon

Es ist das einzige Kindernotruftelefon bundesweit. Letztes Jahr riefen fast 28.000 Kinder die gebührenfrei 0800 1516001 Nummer an und erzählten Heidi Kiefer und ihren Mitarbeitern ihre Sorgen. Vor genau zehn Jahren wurde der Verein gegründet um Kindern und Jugendlichen seelisch beizustehen. Oft sind die jungen Menschen desorientiert, haben Zukunftsängste oder familiäre Probleme. „Diese Kinder erfahren oft wenig Zuwendung oder Liebe, fühlen sich einsam, leiden unter der Trennung der Eltern oder erleben oftmals körperliche Gewalt“, erläutert Psychologin Heidi Kiefer.

 

Nicht jeder Erwachsene kann das Kindernotruftelefon betreuen. Manche zerbrechen an den Geschichten der Kinder oder sind unfähig, sich mit ihnen zu unterhalten. Sie erzählen von Gewalt und der Arbeitslosigkeit des Vaters und von der Angst, wie es weitergehen soll. „Wer denkt, dass Arbeitslosigkeit nur ein Thema für Erwachsene ist, der täuscht sich. Viele Kinder leiden darunter, weil Familienstrukturen zerbrechen und sie Angst vor der Armut haben. Man darf nicht vergessen, dass die meisten dieser Kinder aus sozial schwachen Familien kommen, die schon problembelastet sind“, erzählt die  Psychologin. Für sie ist es wichtig, dass die Kinder zu ihnen Zutrauen bekommen und ohne Sorge, jemand könnte sie verpetzen, erzählen können. „Es gibt Kinder, die rufen immer wieder an. Sie kennen uns beim Namen und wollen natürlich dann „ihren“ Gesprächspartner oder Partnerin sprechen. Das ist bei uns möglich. Vertrauen und Schweigepflicht sind sehr wichtig“. Obwohl die Kinder häusliche Gewalt erfahren, wollen sie nicht von ihren Eltern weg. Sie suchen die Schuld bei sich selber und suchen nach Auswegen, wie sie helfen können, dass ihre Eltern sie nicht mehr schlagen. Sie begreifen nicht, das ihre Eltern ein gravierendes Problem haben. Heidi Kiefer erinnert sich an ein Mädchen, das sie jahrelang telefonisch durchs Leben begleitet hat. Jetzt ist das Mädchen selbst eine zweifache Mutter.

Die meisten Kinder rufen von ihrem Handy aus an. Es ist fast unmöglich von zuhause aus zu telefonieren – die Eltern könnten die Rufnummer zurückverfolgen, dann würde es richtig Ärger geben, erzählen die Kinder. Für das Kindernotruftelefon ist das Anrufen mit dem Handy mit hohen Kosten verbunden. Trotz dessen achten die Betreuer des Telefons, dass die Kinder richtig betreut werden – und das ist nicht innerhalb von zwei Minuten möglich.

Nachbarschaftshilfe
Immer öfters rufen Nachbarn an, die sich über das Geschrei von Kindern beschweren oder sich über das Wohl der Kinder Sorgen machen. „Wir wurden vor kurzem aus Bremen angerufen. Es hat sich ein Nachbar gemeldet, der sich um ein kleines Kind Sorgen machte, das stundenlang schon weinte. Wir riefen sofort die Polizei an. Es war eine Mutter, die anscheinend mit der Erziehung des Kindes überfordert war. Sie war alkohol- und drogenkrank. Die ganze Wand war kotbeschmiert und das kleine eineinhalbjährige Mädchen lag da und schrie“, berichtet Heidi Kiefer. Innerhalb kürzester Zeit muss die Psychologin reagieren und die Polizei informieren. Sie muss entscheiden, wann eine Kindesgefährdung vorliegt. „Lieber einmal mehr hinschauen als einmal weniger“, ist die Devise der Leiterin des Kindernotruftelefons in Erfurt.

Zeiten des Kindernotruftelefons
Mo. bis Fr. von 13.30 bis 17.30 Uhr
Mo. bis So. von 17.30 bis 22 Uhr

Eine Sozialpädagogin und Psychologin, Lehrer und Erzieher kümmern sich um das Wohl der Kinder am Telefon. Acht Mitglieder und 400 Fördermitglieder engagieren sich für den Fortbestand des Vereins, der sich durch Spenden finanziert.

Spendenkonto:
Sparkasse Mittelthüringen
BLZ 820 510 00
Konto-Nr. 100002870

 

Im Gespräch mit Heidi Kiefer
Mit welchen Problemen der Kinder wird ihr Team konfrontiert? Die Eltern haben keine Zeit, das Schlagen der Kinder nimmt immer mehr zu und das überall in Deutschland. Im Osten ist das sehr viel höher ausgeprägt – wahrscheinlich kommt das durch die Arbeitslosigkeit der Eltern. Die Eltern kümmern sich nicht um ihre Kinder geschweige um die Schule.
Sie erwähnten vorhin, dass Sie in Bremen handeln mussten. Agieren Sie öfters in den Altbundesländern? Ja natürlich. Es gibt kein Bundesland, wo wir noch nie Kontakt gehabt hätten, ob nun zu Beratungsstellen, Behörden und Ämtern. Aus den Altbundesländern rufen die Nachbarn öfters an. Sie berichten über Familien die in ihrer unmittelbarer Nähe wohnen und Auffälligkeiten zeigen.
Wie können sie handeln? Wenn eine Kindergefährdung vorliegt, dann können wir nur mit der Polizei eingreifen.
Wie alt sind die Kinder, die das Kindernotruftelefon in Anspruch nehmen? Die jüngsten sind etwa acht Jahre alt. Der überwiegende Teil der Kinder ist zwischen zwölf und 15 Jahren alt.
Sind auch suizidgefährdete Kinder dabei? Eigentlich ganz wenige. Darüber sind wir sehr froh.
Ist Sucht auch ein Gesprächsthema bei Ihnen? Absolut. Dabei geht es nicht nur um das Rauchen, sondern auch um Alkohol und andere Drogen. Die Kinder wollen weg von der Sucht. Meistens stellen sie sich als Freund oder Freundin eines Suchtabhängigen vor. Durch unsere Erfahrung merken wir, dass es um sie selbst geht. Wir vermitteln die Kinder und Jugendlichen dann weiter an Drogenberatungsstellen.
Quellenangabe Grafik:
Kindernotruftelefon Erfurt

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