Menschen

Wenn die Seele schwarz trägt

Karin Senn und ihr Weg aus der Depression

Psychische Niedergeschlagenheit nennen es die einen, während die anderen das Kind beim Namen nennen und Depression damit meinen. Depression ist eine der häufigsten Erkrankungen, die diagnostiziert wird. Unvorstellbare Abgründe eröffnen sich dem Kranken, der unter anderem an Ängsten, Antriebs- und Teilnahmslosigkeit leidet. Es ist die Hölle auf Erden, bringt es Karin Senn auf den Punkt. Drei Mal war sie schon in der Psychiatrischen Klinik und zweimal in der geschlossenen Abteilung. Wäre ihr Vater nicht gewesen, wäre sie nicht so schnell da raus gekommen. Begonnen hat alles vor zehn Jahren. Karin Senn blickt zurück.

„Ich habe vor zehn Jahren meinen Sohn bekommen. Als er zur Welt kam, dachte ich, er nimmt mir einen Teil meines Körpers. Es war ein furchtbares Gefühl. Ich wollte dieses Kind nicht halten. Und als mir die Hebamme den Jungen auf den Bauch legte, hätte ich am liebsten geschrieen. Es hat mir die Luft zum Atmen geraubt.“ Für Karin Senn war das eine Katastrophe. Wie kann man sein eigenes Kind nicht halten und sehen wollen? Für die damals 35jährige war das alles zuviel. Sie begriff die Welt nicht mehr. „Als man mir sagte, ich müsste das Kind stillen, brach für mich vollends alles zusammen. Ich traute mich einfach nicht zu sagen das will ich nicht.“ Also stillte die junge Mutter ihr Kind. Erschöpfungszustände machten sich breit und die Unlust am Leben. „Mir ging ständig im Kopf herum, ich will nicht mehr so leben. Das alles schaffe ich nicht“, erzählt die gebürtige Österreicherin. Nicht genug, offenbarten ihr die Ärzte, dass ihr Sohn alle Organe seitenverkehrt hat und das die rechte Herzklappe offen sei. „Das mit der Herzklappe wendete sich doch noch zum Guten und mein Sohn musste nicht operiert werden.“ Ihr damaliger Arzt diagnostizierte eine Wochenbettdepression. Die Medikamente halfen nicht – also wurde sie nach Hall in die psychiatrische Klinik eingewiesen. „Es war der 23. Dezember und ich dachte, ich komme hier nie wieder lebend raus. Mein behandelnder Arzt meinte immer nur, Frau Senn, ich weiß, was ihnen fehlt. Ich kann Ihnen helfen“, erinnert sie sich. Die Tablette, die sie dann bekam, versetzten sie in Panik. „Als ich mich im Spiegel sah, dachte ich meine Gesichtshälfte hat sich verschoben. Es war schrecklich.“ Die Tortur ging weiter. Karin Senn weigerte sich zu essen und ihr Körper rebellierte. Jeden Bissen, den sie zu sich nahm, erbrach sie wieder. Es war ein Kreislauf, den sie nicht unterbrechen konnte. Überhaupt hatte sie keine Lust mehr am Leben. „Es war einfach alles so schwer und aussichtslos“, erklärt sie die Situation. Die Ärzte reagierten darauf und verlegten sie in die geschlossene Abteilung. Schwere Depressionen, hieß die Diagnose. Um sie wieder aufzupäppeln, wurde sie zwangsernährt. Die Medikamente wurden ihr intravenös verabreicht. „Jedes Mal wenn mich die Ärzte fragten: Frau Senn, welches Ziel haben sie vor Augen, sagte ich immer ich habe keine Ziele, ich bin fertig. Mein behandelnder Arzt meinte dann darauf, dass jeder ein Ziel haben müsste, und wenn ich das auch erreichen wolle, dann müsste ich mit ihnen zusammen arbeiten.“ Wie ernst die Lage war, wurde ihr erst dann bewusst, als ein Pfleger zu ihr sagte, dass sie sich bemühen müsste aus der geschlossenen Abteilung weg zu kommen. Dieser einzige Satz gab Karin Senn soviel Antrieb, dass sie darum bat aus der „Geschlossenen“ raus zu kommen. „Ich sagte meinem Arzt, ich habe ein Ziel und das ist, wieder nach Hause zu gehen.“ Doch so einfach stellte sich das Vorhaben nicht raus. Es vergingen noch viele Tage, bis dieses Ziel in die Nähe rückte. Patientenanwaltschaft, Arzt, Anwalt und ihr Vater diskutierten die Frage, ob man jemanden, der in einer psychiatrischen Klinik ist, so ohne weiteres gegen seinen Willen festhalten kann. Ihr Mann, mit dem sie damals noch nicht verheiratet war, konnte nur hoffen und zusehen. Ein Mitspracherecht hatte er nicht. Letztendlich kam Karin Senn raus, dank der Hartnäckigkeit ihres Vaters.

„Als ich zu Hause war konnte ich kochen und putzen, aber ich war nicht fähig, für mich oder für mein Kind zu sorgen. Da ich in Österreich noch krankenversichert war musste ich auch dort ärztlich versorgt werden. In Reutte war ich das Gesprächsthema. Jeder sagte: jetzt hat sie ein Kind bekommen und musste in die Psychiatrische. Das war richtig schwer für mich“, erzählt die gelernte Köchin. Wenige Wochen später lernte sie im Wartezimmer ihres Arztes eine Frau kennen, die erzählte, dass sie auch diese Probleme nach der Geburt hatte. Antidepressiva und eine Hormonspirale halfen ihr wieder gesund zu werden. „Die Frau erzählte mir, dass es nach einer Geburt zu einem Hormonsturz kommen kann und das ich mich einfach diesbezüglich untersuchen lassen soll.“ Diesen Rat befolgte Karin Senn und ließ sich eine Hormonspirale geben. „Nach nur wenigen Tagen ging es mir zu hundert Prozent wieder gut. Bis dahin habe ich ein Jahr und drei Monate gelitten.“

Zwei Jahre ging es der jungen Mutter gut, bis sie erneut in eine Depression stürzte. Dieses Mal wies man sie nach Kaufbeuren in das BKH ein. Wieder wurde sie mit Medikamenten behandelt. Der Einwand, dass ihr die Hormonspirale geholfen hat, wiesen die Ärzte als lächerlich zurück. „Ich konnte mich zwischen medikamentöser Behandlung oder die Einlieferung in die psychiatrische Klinik entscheiden“, so Karin Senn. „Für mich war es immer klar, dass nur Menschen die Probleme oder ein schlechtes Leben haben, depressiv werden. Aber nicht ich. Ich habe einen lieben Sohn, einen guten Mann, Haus – alles was man braucht.“ Die Ärzte degradierten sie als Schauspielerin und eine „medikamentenfressende Frau“, die sich nicht alleine helfen wollte. Für sie musste Karin Senn ein Problem haben, nur das alles ließe sich damit erklären. Ihr Glaube an Gott und ihre Beharrlichkeit – sie ließ nicht locker bis die Ärzte ihren Hormonspiegel untersuchten und herausfanden, dass ihr Hormonhaushalt dem einer 70jährigen Frau gleich kam –  halfen der heute 45jährigen aus diesem Tal der Dunkelheit heraus.

Heute sagt Karin Senn: „Depression ist Kopfsache, es ist zermürbend so viel zu denken. In diesem Moment hat man keinen Platz für das Bauch- und Herzgefühl. Man kapselt sich ab und kommt sich ganz alleine vor. Männer können sehr schwer mit dieser Situation umgehen. Ich wusste allerdings von Anfang an, dass ich für meine Depression selbst verantwortlich bin. Außenstehende sind gegen Depressionen machtlos, dennoch ist es wichtig eine Vertrauensperson zu haben. Ich hatte das Glück, dass die Geschwister meines Mannes, mein Mann und meine Schwester sich so rührend um meinen Sohn gekümmert haben. Heute rate ich jeder Frau, dass sie regelmäßig die notwendigen Untersuchungen wie den Hormonhaushalt und die Schilddrüsenfunktion überprüfen lässt.“

Text/Bild:rie

 

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