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“Die Frauen haben es heute geschafft”

Karolina HanauerKarolina Hanauer erzählt

Goldene Zeiten hatten die Frauen in den zwanziger und dreißiger Jahren wirklich nicht. Auf der einen Seite waren diese Jahre von Arbeitslosigkeit und Hunger geprägt. Der Dollar kostet am 19. Oktober 1923
12 Milliarden Mark, drei Tage später schon 50 Milliarden Mark; für ein Brot muss man 1,7 Milliarden Mark bezahlen. 1931 sind in Deutschland fast 5 Millionen Menschen ohne Arbeit. Auf der anderen Seite forderten Frauen ihre Rechte ein. Durch den seit dem Krieg herrschenden Frauenüberschuss eroberten sich Frauen neue Berufsfelder. “Die neue Frau” wurde für konservativ Eingestellte zum Schimpfwort. In dieses Bild ordneten viele auch die sinkende Geburtenrate ein. Frauen rauchten erstmals und 1919 erhalten sie in Deutschland mit 21 Jahren das Wahlrecht. Da war Karolina Hanauer (Foto) sieben Jahre alt.

Karolina Hanauer ist 1912 geboren. Die heute 97 jährige kann sich noch an vieles erinnern: An die Zeit, als es wenig zu essen gab, genauso wie an die musikalischen Abende der Schuhplattler, die in der Gaststube auftraten. 1931 lernte sie ihren Mann kennen, da war sie 19 Jahre alt. „Damals war es noch üblich, dass die Eltern für die Tochter einen Mann aussuchten. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, einen Studienrat zu heiraten, doch der war ihr „zu verstaubt“, wie sie lächelnd zugibt. Auch ein Hotelierssohn stand zur Auswahl. Dieses Angebot lehnte sie allerdings auch ab. Der Grund: „Ich wollte nicht weg und ich sah die viele Arbeit, die auf mich zukam“, so die alte Dame heute. Wenn sie mit ihrem Mann ausging, war es das Höchste in das „Schwansee-Hotel“ nach Hohenschwangau zu gehen. “Feudale Kristallleuchter, schöne Räume, geschliffene Gläser und die Atmosphäre waren einzigartig”, erzählt Karolina Hanauer. Heute befindet sich darin das Gymnasium von Hohenschwangau.

„Ich kann mich erinnern, dass mir unser Hausmädchen aus dem Vorhang einen Rock nähte. Mutter durfte nichts davon wissen. Als ich vom Tanzen wieder da war, wurde aus dem Rock wieder ein Vorhang.“ Jede Familie die etwas von sich hielt, schickte ihre Töchter zu einer Weißnäherin. Dort lernten die Mädchen Herrenhemden und  Bettwäsche zu nähen. Auch Karolina Hanauer lernte es und zwar bei Fräulein Mina Miller, die im alten Feuerwehrhaus ihre Nähstube hatte. „Wenn wir brav waren, las sie uns den Liebesroman aus der Zeitung vor.“ Gemeinsam mit ihrer Schwester heiratete sie 1938. Die Schwester ging nach Sylt und Karolina Hanauer blieb mit ihrem Mann in Füssen. Eine Hochzeitreise gab es nicht, „mein Mann musste zur Vorübung zu den Fliegern“. Über die Zeit von früher mag Karolina Hanauer nur ungern sprechen. „Es gab viele Frauen, die keine Männer hatten, weil sie im 1. und 2. Weltkrieg gefallen sind. Es war eine schreckliche Zeit“, erzählt sie. Frauen, die ehelose Kinder hatten, wurden als „arme Luder“ bezeichnet. “Eine Zukunftsperspektive hatten sie nicht. Überhaupt hatte man zu anderen Frauen und Familien wenig Kontakt. Was zählte, war die eigene Familie und Verwandtschaft”, so die 97jährige. All diese Umstände führten dazu, dass die Frauen, zumindest in den Großstädten, rebellierten. Es kam der Kurzhaarschnitt „Bob“ und die endlose Zigarettenspitze, die so provozierend lasziv eingesetzt werden konnte. Sie gab den Damen einen leicht mondänen Anstrich. Dass sich eine Dame in einem eleganten Restaurant eine Zigarette anzündete, wurde bald akzeptiert. Auch Karolina Hanauer probierte es aus – allerdings nur vor dem Spiegel zu Hause. „Man fühlte sich damit ganz anders, eben wie eine Dame von Welt.“ Ihrer Schwester wurde Füssen irgendwann einmal zu eng. Sie wollte den Hauch der großen Welt erleben und zog nach München. Dort arbeitete sie im Haushalt einer Schauspielerin.
Mit dem Verdienst hätte Sie allerdings nicht mal ihre Schuhsohlen bezahlen können. Also ging sie zum Bedienen, da bekam sie etwas Geld. So wie es ihr erging, erging es vielen anderen Frauen und Familien auch. „Es gab eine starke Inflation, das Geld wurde entwertet und man musste froh sein, wenn man Verwandtschaft auf dem Dorf hatte“, erzählt Karolina Hanauer. „Wobei“, fügt sie hinzu, „unsere Familie nicht arm war, wir hatten genügend zum Essen. Mein Vater ließ oft einen großen Topf Suppe kochen um Essen an die Bedürftigen zu verteilen.“ Karolina Hanauer meint: „So einfach wie es für uns Frauen heutzutage ist, war es zu meiner Zeit, als ich noch jung war, nicht. Frauen mussten sich durchsetzen, und sie haben es geschafft.“

Text/Bild:rie

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