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Wo Fußball verbindet

Es ist früher Abend. Mich erwarten einige Herren, die leidenschaftlich gern Fußball spielen. Aber das nur so. Zum Spaß. Und damit etwas sehr Wichtiges für die Gesellschaft tun.

Aus der anfänglichen Stammtischmannschaft vor circa 20 Jahren hat sich etwas viel Größeres entwickelt. „Eine Art Integration durch das Spiel“, wie Marcel Goldammer, ein Mitspieler, treffend erklärt. Wo früher nur Einheimische für die Kleinfeldturniere kickten, spielen heute verschiedene Nationalitäten wild zusammengewürfelt Fußball miteinander, und nicht gegeneinander. Jochen Knaebel blieb als einziger aus der Stammtischgruppe übrig und freut sich, nicht aufgehört zu haben, als die damalige Mannschaft auseinander brach. „Was früher noch irgendwie organisiert wurde, ist heute ein Selbstläufer geworden“, erzählt der 46-jährige. „Ich weiß selbst nicht, wer alles am Dienstag erscheint. Ob ganz Neue oder Altbekannte.“ Das ist nun mehr die einzig feste Konstante: Von Mai bis Oktober wird sich immer dienstags um 18 Uhr auf dem Bolzplatz in Pfronten getroffen. Und das egal bei welchem Wetter. Vielen ist dieser Termin sogar „heilig“. Doch sie sind keine richtige Mannschaft, die gegen andere antreten. „Nur ein paar Kerle, die ein bisschen bolzen wollen“, wie sie selbst sagen.

Oft kommt es auch vor, dass Vereinsspieler in der Sommerpause oder nach Verletzungen vorbeischauen, um wieder ein wenig Spielpraxis zu bekommen. „Solche, wie auch wenig talentiertere sind willkommen.“

Aber auch beim Hobby gibt es Regeln: Da es keinen Schiedsrichter gibt, müssen sie sich selbst bei kniffligen Entscheidungen irgendwie einigen. In der Regel gibt derjenige, der eine Regelwidrigkeit begangen hat, den Fehler einfach zu. „Das funktioniert bis auf wenige Ausnahmen reibungslos.“ Und das obwohl hier viele Nationalitäten aufeinandertreffen und es Konflikte geben könnte. Die Spieler kommen zum Beispiel aus dem Senegal, Bosnien, der Türkei, Ungarn, Uruguay, Spanien, Mazedonien, Irland, Kroatien, Italien, Österreich, Syrien, Afghanistan, Benin, Rumänien, Russland, Serbien oder Albanien. „Es gab aber auch schon Ausländer aus Franken und Schwaben!“, witzelt Jochen Knaebel. Hier geht es um Fußball, die Hautfarbe, die Religion oder das Alter spielen keine Rolle. In der Hobbymannschaft spielen vom Arbeitssuchenden über Schüler, Handwerker, über Beamte bis hin zum Ingenieur, vom Einheimischen über den Urlauber bis hin zum Einwanderer, im Alter zwischen 12 und 53 Jahren miteinander. „Nur Frauen haben bislang noch keine mitgespielt… Aber da hätten wir auch nichts dagegen!“ Hier gibt es kein Schubladendenken oder Vorurteile gegenüber „anderen“. Hier wird einfach gespielt und nicht viel darüber nachgedacht. Unkompliziert eben.

Doch manchmal merkt man „Unterschiede“ zwischen den Hobbykickern. Wenn zum Beispiel bei der taktischen Nachbesprechung die Muslime einen Orangensaft statt einem Bier bestellen. Oder völlig kraftlos zu Zeiten des Ramadan auf dem Platz stehen, weil sie den ganzen Tag nichts trinken dürfen. „Ich habe mich davor nie damit beschäftigt, geschweigedenn darüber nachgedacht, was es beim Sport machen bedeutet“, gibt Jochen Knaebel zu.

Gabor Bocskor kam 2001 aus Ungarn nach Deutschland. Ohne Sprachkenntnisse in einem fremden Land. Durch das wöchentliche Fußballspiel lernte er Deutsch und knüpfte Kontakte. Und diese Entwicklung kann sich sehen lassen. Er schaffte es vom Spüler zum selbstständigen Unternehmer mit fünf Angestellten. „Fußball hat uns wirklich zusammengebracht. Wir wurden richtige Kumpels, die zusammenhalten“, freut sich der 37-jährige über die Freundschaft.

Gerade in der heutigen Zeit, in der sehr viel von Integration gesprochen wird und was wir alle dafür tun müssen, damit auch alle ordnungsgemäß integriert werden, sollte einfach mal dienstags zum Bolzplatz geschaut werden. Als Polizeibeamter und zudem Angehöriger einer Randgruppe, als gebürtiger evangelischer Niederbayer im erzkatholischen Allgäu, sagt Jochen Knaebel zu Leuten, die meinen zu wissen, welche Nationalitäten auf welche Art und Weise kriminell sein sollen: „Es gibt nette Menschen und andere. Und die anderen können uns gestohlen bleiben. Da ist es auch völlig egal, wie alt, wie jung, wie dick und dünn, wie klein, wie groß, hell oder dunkel jemand ist.“

Text · Bild: Julia Siemons

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