GesundheitLeben

Kurz und schmerzlos

Wir haben den Wunsch und die Gewohnheit, das Leben in allen Aspekten zu bestimmen und zu planen.

Natürlich zu gebären liegt heutzutage nicht gerade voll im Trend. In Ländern wie Brasilien ist es inzwischen eine Art Statussymbol geworden, sein Kind per Kaiserschnitt auf die Welt zu bringen und auch bei uns steigt die Rate der geplanten Kaiserschnitte und Geburtseinleitungen. Wir haben den Wunsch und die Gewohnheit, das Leben in allen Aspekten zu bestimmen und zu planen. Dahinter verbergen sich jedoch häufig Angst, wenig Zugang und Vertrauen zum eigenen Körper und Ungeduld. Sich auf einen natürlichen Prozess einzulassen ist vielen fremd, genauso wie die Fähigkeit Missempfindungen und Schmerzen auszuhalten.

Wie kommt es dazu? Die Anforderungen in unserem Alltag sind hoch, in unserer Leistungsgesellschaft versuchen die meisten privat wie beruflich allen Ansprüchen gerecht zu werden und geraten in einer immer schnelllebigeren Zeit, in der man zu allem anderen auch noch gut aussehen muss, ganz schön unter Druck. Viele haben Geduld und Warten verlernt, schauen mehr auf Monitore und Smartphone als auf ein Gesicht oder die Umgebung.
Für Schwangere steigt der Druck noch viel mehr. Sie machen eine Ausnahmeerfahrung, kaum einer sieht Geburt oder Tod als einen natürlichen Prozess des Lebens. Sie leiden eventuell unter Schwangerschaftsbeschwerden und Stimmungsschwankungen, haben Angst und wissen um die Unausweichlichkeit einer vermutlich schmerzhaften und möglicherweise riskanten Geburt, auf die ein hohes Schätzgewicht des Kindes oder andere Risikofaktoren hinweisen. Nicht so leicht unter solchen Umständen voll Vertrauen und Freude einer Geburt entgegen zu sehen.

Dabei könnte man meinen, bei einem so hohen Lebensstandard, mit einer der besten medizinischen Versorgung überhaupt, können Frauen sich unbesorgt und zuversichtlich auf diese einmalige, wundervolle Erfahrung einlassen. Aber das Gegenteil scheint immer häufiger der Fall zu sein. Eine fast exzessive Schwangerschaftsvorsorge in Deutschland, mit einer Vielzahl an verdächtigen Befunden, verunsichert und bewirkt bei vielen das Gefühl den Anforderungen an die Geburt nicht gewachsen zu sein oder ein nicht vertretbares Risiko einzugehen. Faszinierende Ultraschallbilder belegen, dass es dem Kind gut geht und wir lernen der Technik mehr zu vertrauen als dem eigenen Körper oder Gefühl. Noch mehr Verunsicherung entsteht durch eine ständige Überflutung mit Schauergeschichten in den Medien und ein dauerndes Nachfragen der wohlmeinenden und besorgten Umgebung. Jeder hat gute Ratschläge für die werdende Mutter oder weist auf drohende Gefahren hin. So werden natürliche Unsicherheiten, Ängste und Prägungen oder vorausgegangene traumatische Erfahrungen verstärkt und machen es den Frauen schwer auf sich und die natürlichen Vorgänge des Lebens zu vertrauen. Die juristische Absicherung von Ärzten, die sich an vorgegebenen Leitlinien orientieren müssen, und leider auch Abrechnungspauschalen im Gesundheitswesen begünstigen ein eingreifendes Vorgehen zusätzlich. So sinken durch vielerlei Einflüsse die Chancen auf eine Geburt, die eine kraft- und wertvolle Erfahrung für die Mutter und ein bestmöglicher Start für das Kind wird.

Auf die Bedeutung der Schwangerschaft und Geburt weisen Psychologen seit Langem hin. Positive wie negative, gar angstbesetzte Erfahrungen prägen das weitere Leben entscheidend. Die Folgen können eine Unfähigkeit zu wirklicher Nähe, mangelndes Urvertrauen, Verhaltensauffälligkeiten oder auch eine fehlerhafte Risikoeinschätzung sein. Eine Generation von Müttern, die selbst nicht gestillt wurde und Bindung beispielsweise aufgrund von Kriegserfahrungen nie erfahren hat, kann diese kaum mit ihren Kindern aufbauen. Unsere werdenden Mütter brauchen Unterstützung. Freunde, Familie und Geburtshelfer können sie geben. Wir sind gefragt sie zu ermutigen, sich zu spüren mit all ihren Sinnen und gut für sich zu sorgen. Wir können ihnen Geborgenheit und Zuversicht schenken, ihre Vorfreude teilen.

Folgende Fragen helfen, passende Geburtsbegleiter zu finden:

• Nimmt sich die betreuende Person wirklich Zeit für mich oder will sie möglichst schnell fertig werden?
• Hat sie Geduld, zu warten, natürliche Vorgänge zu begleiten oder ist sie getrieben vom eigenen Tagesablauf?
• Verströmt sie Zuversicht und Gelassenheit oder verbreitet sie Angst und Unruhe?
• Ist sie bereit, mir meinen eigenen Rhythmus zu gestatten oder favorisiert sie technische Methoden wie Geburtseinleitung, Wehentropf oder frühzeitige PDA?
• Bleibt das Kind nach der Geburt sofort und ausgiebig bei der Mutter?
• Wird ein schützender Raum für frühes Anlegen und Kuscheln gewährleistet?
• Erfolgt die Betreuung individuell oder stülpt mir die betreuende Person ihre eigenen Vorstellungen auf?

Text: Judith Schwarzenbach  (Ärztin für Gynäkologie, klassischer Homöopathie und  Informationsmedizin)
praxis@wisse-die-wege.de

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