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Spiritualität, Buddhismus – und die Rolle der Frau

“Man spricht im Buddhismus nicht von einem Glauben, sondern über Vertrauen, es ist absolut gewünscht, dass man hinterfragt und sich sein eigenes Bild macht.”

„Was wir in der Meditation verstehen, gibt Kraft für unser Leben; was wir im Leben erfahren, bestärkt uns in der Meditation.“ Dieser Leitspruch prangt in goldenen Lettern in der Eingangshalle. Zsuzsanna Áts-Rowek und Dietrich Rowek, Leiter des Retreatzentrums, erklären uns, dass ihre Lehrer, ihre Lamas, ihnen diesen Spruch mit auf den Weg gegeben haben. Wir sind zum Interview im Buddhistischen Zentrum in Schwarzenberg eingeladen und wollen mehr über diese Religion erfahren, aber auch welche Rolle die Frau im Buddhismus einnimmt. „Erstmal gibt es ganz unterschiedliche Richtungen. Wir leben hier nach dem Diamantweg-Buddhismus“, erklärt Dietrich. „Im Gegensatz zum klösterlichen Buddhismus haben wir alle weltliche Berufe und Familie.“ Er ist zum Beispiel Kampfkunsttrainer und Heilpraktiker, Zsuzsanna erzieht behinderte Kinder im Internat. „Wenn Leute Meditation hören, dann denken sie an Mönche oder an spirituelle Spinner.“ Ich fühle mich ertappt. Mit der Kommune des Films „Sommer in Orange“ haben diese Leute wirklich nichts gemein. „Anfangs hatten wir starke Probleme mit den Nachbarn. Sie waren sehr kritisch, was wir hier wollen. 1983, unser Gründungsjahr, gab es leider viele Skandale mit hinduistischen Lehrern, es ging nur um Geld und Sex“, erzählt Gerhard Waldner, einer, der von Anfang an in Schwarzenberg dabei war. Aber mit vielen Festen und Nachbarschaftshilfe wurden enge Beziehungen geknüpft.

Buddha – der eigene Geist

Das Zentrum nahe Oy-Mittelberg gibt es schon über 30 Jahre. Es war eines der ersten im Westen überhaupt. Es wurde eine Stelle für Laien, die Zurückziehung, Kurse zu Meditation oder schlichtweg den Austausch suchen. 25 Zimmer können bei Kursen schon mal belegt werden. Außerdem leben hier zehn Bewohner, die ehrenamtlich das Zentrum betreiben und den Haushalt organisieren. 170 Diamantwegzentren gibt es in ganz Deutschland, davon zehn im Allgäuer Raum. Damit werden jegliche Gesellschaftsschichten aller kulturellen Prägungen angesprochen, im Grunde alle im Leben stehenden, selbstständigen Menschen. Doch nur manche wollen keine Materialisten mehr sein, wollen sich nicht mehr vergleichen, sei es das Haus, das Auto, das Gehalt. „Aber dafür gibt es ja mehrere Religionen, wie es eben jeder braucht.“

Die Spiritualität

Interessant ist ebenso, dass, im Gegensatz zum Christentum, kein Gott angebetet wird, sondern der eigene Geist – der Buddha. Die Welt soll aus einer reichen und selbstbefreienden Sicht heraus erfahren werden. Soll heißen, es gibt keine Störgefühle, kein selbstbezogenes Ich mehr, sondern einen befreiten Geist, der zur Liebe, Freude und Furchtlosigkeit und damit Erleuchtung führt. Der Geist ist, weil er weder ein Anfang noch ein Ende hat, auch nicht zwischen den Geschlechtern zu unterscheiden. Es besteht keine Trennung mehr zwischen Erleber, Erlebtem und Erlebnis. „Buddha ist weder männlich oder weiblich, sondern Männer und Frauen werden Buddhas“, versinnbildlicht uns Dietrich die Spiritualität zum Thema Frauen. „Es gibt keine Dualität, sondern die Kombination von Frau und Mann ist wichtig. Anders als in anderen Religionen werden Frauen hier nicht unterdrückt, sondern haben sogar eine herausragende Rolle!“, ergänzt Zsuzsanna. „Frauen haben es im Allgemeinen leichter, sich dem Buddhismus und der damit verbundenen Liebe zu öffnen“, gibt ihr Mann zu. „Doch sobald die Männer die Kraft erleben, die darin steckt, sind auch wir geweckt! Die Zugänge sind einfach verschieden.“

Das Arbeiten mit dem Geist und das Anwenden der Meditationen macht die Spiritualität im Buddhismus aus. Lama Ole Nydahl sagte einmal ganz treffend: „Meditation ist ein Geschenk des Geistes an sich selbst.“ Doch was bedeutet Meditation eigentlich? „Das Verweilen im Hier und Jetzt“, erklärt Zsuzsi. Dieser Zustand wird durch Geistesruhe und Einsicht verwirklicht, der nicht nur während, sondern auch außerhalb der Sitzungen erhalten bleiben soll. Lama Ole und seine Frau Hannah waren die ersten und bis heute die bekanntesten westlichen Lehrer, die weltweit ca. 600 buddhistische Zentren gegründet haben. Eines davon ist das in Schwarzenberg. Hannah Nydahl gilt als die „Mutter des Buddhismus“ und ist das beste Beispiel einer Frau im Diamantweg-Buddhismus. In „Hannah – Ein buddhistischer Weg zur Freiheit“, einer preisgekrönten Dokumentation, wird über das Leben der Dänin, die rastlos für die Verbreitung des Buddhismus tätig war, berichtet. Hannah verstarb 2007 sechzigjährig  an Krebs. Doch Ole setzt die Arbeit seiner Frau bis heute fort und ist gespannt, in welchen Inkarnationen sie im nächsten Leben aufeinandertreffen werden.

Religion ist keine Fessel

Man spricht im Buddhismus nicht von einem Glauben, sondern über Vertrauen, es ist absolut gewünscht, dass man hinterfragt und sich sein eigenes Bild macht. „Ich vertraue zum Beispiel unseren Lamas, weil mir die Erfahrung dafür fehlt. 2.560 Jahre wurde das Wissen vom Lehrer an die Schüler weitergegeben, aber Zweifeln ist menschlich, Antworten erhält man nur durch den Austausch“, veranschaulicht Zsuzsanna. Der Tod und das Leben danach macht da keine Ausnahme. Der Begriff Karma fällt in diesem Zusammenhang, der „Ursache und Wirkung“ bedeutet, nicht Schicksal. Jeder ist für sein eigenes Leben verantwortlich und prägt es durch Gedanken, Worte und Handlungen, die künftiges Leid im nächsten Leben vermeiden. Mit diesem Aspekt konnte sich Zsuzsanna auch die universelle Frage „Wieso müssen Kinder leiden?“ beantworten, die ihr das Christentum verschwiegen hatte. Ihr Weg zum Buddhismus ist ein sehr interessanter. Aufgewachsen ist sie in Deutschland als Migrantenkind aus Ungarn. Ihre Eltern waren politische Flüchtlinge, die immer für die Freiheit gekämpft und ihr humanistische Werte vorgelebt hatten. Ihre Mutter war in ihrer Jugend sieben Jahre lang Novizin und eine der ersten, die Theologie studieren durfte. Zsuzsanna hatte das Glück, mit einer großen Toleranz und einem aktiven Austausch im Bezug auf Religion aufwachsen zu dürfen. So fragte sie sich nach einer universellen Kraft in ihr selbst und fand die Antwort im Buddhismus. Ob ihre Eltern damit einverstanden waren? „Meine Mutter war zwar traurig, dass ich nicht weiter ihren Weg gehe. Aber sie sah, dass ich glücklich war und das ist das Wichtigste für sie. Sie ist ein wunderbares Beispiel für die Freiheit des Geistes. Sie ist zwar immer Christin geblieben, macht aber genau die Dinge, die auch im Buddhismus so wichtig sind, wie Großzügigkeit und uneigennützige Liebe.“ Religion ist nun mal keine Fessel. Und mit dieser Erkenntnis fahren wir – etwas erleuchtet – wieder nach Hause.

„Meditation ist ein Geschenk
des Geistes an sich selbst.“

Text: Julia Siemons

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