Kolumne

Offline

„Ah! Guten Morgen, Frau Schlüter! Ich bin gleich persönlich für Sie da!“
Er schreit ein bisschen, während er Frau Schlüter über die Schulter streift. Der Banker und Frau Schlüter, die beiden kennen sich. Ganz offensichtlich. Ich stehe direkt hinter ihr. Sie freut sich. Über die persönliche Begrüßung und seinen Duft. Es riecht ein bisschen nach 4711 Eau de Cologne und ranziger Milch.

„Der Frühe Vogel kann mich mal“ steht auf seinem Kaffeebecher, aus dem es dampft. Mit seinem schwarzen, dichten Schnauzer und den angedeuteten Kotletten sieht er irgendwie aus wie Magnum. Und ich glaube, das ist genau Frau Schlüters Typ. Jedenfalls wirkt es so, als hätte Flirty Magnum der älteren Dame den Kopf verdreht. Sie ist hin und weg.

Ich bin nicht sicher, welche Emotionen er bei mir auslöst. Momentan bin ich nur auf seine Krawatte fixiert. Und die sieht gar nicht nach Magnum aus. Eher nach textilem Terror: irgendwas zwischen Woodstock und Jürgen von der Lippe, würde ich sagen.

Eigentlich könnte ich umdrehen. Meinen Platz frei machen und dem netten Herrn mit Sherlock Holmes Gedächtnishut hinter mir den Vortritt lassen. Aber ich bleibe. Aus Überzeugung. Ich bin nämlich von der Gruppierung der Anti-Online-Banking-Bewegung. Also, falls es die gibt?! Wenn ja: dann bin ich eine von Euch, Peace Freunde!
Wenn nicht: dann ändert das trotzdem nichts daran, dass ich wohl weiter hier stehen werde, in der Warteschlange vor dem Bankschalter, mit Frau Schlüter und den anderen. Ich bin Ende Zwanzig und digitale Analphabetin. Das heißt: kein Facebook, kein Nickname wie Girl_on_fire_89, kein Online Banking.

Anfang der 90er war „Smells like Teen Spirit“ nicht nur ein Lied und Nirvana nicht einfach irgendeine Band. Grunge war ein Lebensgefühl, eine Einstellung. Zottelige Haare, ein versifftes Äußeres, Band-Shirts, zerfetzte Hosen und Chucks, das war äußere Haltung, das war Flagge zeigen. Heute, 27 Jahre später, steh ich hier, mit meiner Flagge in der Hand. Sie heißt Zahlschein. Meinem „Smells like Teen Spirit“ in Zeiten von „Atemlos durch die Nacht“. Und Frau Schlüter findet´s super: „Junge Dame, Sie bringen frischen Wind hier rein!“
Also, Online Banking kann jeder, Frau Schlüters frischer Wind sein nur Eine. Ich bleib dann mal offline…

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