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Für jede Arbeit gibt es einen Beruf

Anton Wiest und Andreas Joye haben einen ungewöhnlichen Beruf. Sie sind Bestatter, oder wie man im Volksmund sagt: Totengräber. Es ist ein Beruf, der noch nicht in der Gesellschaft angekommen ist. Vielleicht deswegen, weil man sich mit dem Thema Sterben und Tod nicht beschäftigen will.

Die beiden Füssener kennen diese Vorbehalte. Es ist ein anstrengender aber sehr schöner Beruf, sagen beide und ernten oft fragende Blicke.  Kann der Beruf eines Totengräbers wirklich schön sein? Für sie ist es das. „Es ist ein Beruf, der viel mit Respekt und Würde zu tun hat“, meint Andreas Joye.  „Man kann nicht nur einen Beruf ausüben, der von der Gesellschaft angesehen wird. Wir sind Dienstleister und Handwerker zugleich.“

Der 31-jährige Familienvater hat sich lange mit dem Beruf auseinander gesetzt. Erst ein Praktikum brachte ihm die Gewissheit, eine Ausbildung zur Bestattungsfachkraft zu machen. Von Buchführung, Materialkunde, Beratungsgesprächen, Trauerpsychologie, dem Ausschlagen von Särgen bis zur Versorgung von Leichen… die Anforderungen an den Beruf sind sehr umfangreich.  Die Lehrer kommen aus der Praxis, sind Einbalsamierer, Rechtsanwälte, Betriebswirtschaftler, Pfarrer, Psychologen und Bestatter. Gräber ausgraben und wieder zuschütten ist nur eine Aufgabe von vielen. Die Fachbereiche sind so vielfältig und ungewöhnlich wie die Farben und Formen der Urnen, die bei ihnen im Betrieb stehen. Seine Prüfung hat Andreas Joye mit „gut“ bestanden. Jetzt macht er gerade seinen Meister.

Abschalten und an das Leben denken, das ist ein Muss für die beiden jungen Männer. „Das lernt man mit der Zeit. Man darf es nicht mit nach Hause nehmen, sonst geht man zugrunde“, erzählt Anton Wiest, der Koch gelernt hat. Er könnte jederzeit in seinem alten Beruf einen Job finden – „aber das will ich nicht mehr. Ich weiß, für andere hört sich das komisch an, wenn ich sage, dass mir mein jetziger Beruf viel gibt. Ich bin näher am Leben dran, als man sich das vorstellen kann“, so der 32-Jährige. Sein Arbeitskollege und Freund Andreas Joye pflichtet ihm bei. „Man wird demütiger und sieht vieles aus einer anderen Perspektive. Das Leben kann schnell vorbei sein.“ Der Vater zweier Kinder weiß, wovon er spricht. Als Zeitsoldat war er in Afghanistan und hat vieles erlebt und gesehen.

Für die Beiden ist ihr Beruf und der Friedhof Alltag, für die Trauernden kann es der schwerste Gang ihres Lebens sein. „Wenn wir einen Verstorbenen abholen, merken wir, ob die Angehörigen Informationen brauchen oder nicht. Es ist die Angst, die die Leute im Kopf haben, es passiert etwas, was sie nicht in der Hand haben. Da macht die Empathie eines Bestatters sehr viel aus, weil die Angehörigen ihren lieben Menschen in seine Hand geben“, erklärt Andreas Joye.  Obwohl sie sehr professionell arbeiten, haben auch sie einen Moment, den sie als Bestatter durchstehen müssen. Das ist der Moment kurz bevor der Sarg in die Grube gelassen wird. Der Pfarrer hat aufgehört zu beten. Alle Anwesenden schauen auf die Männer in Schwarz. „Dadurch blickt man direkt in ihre Gesichter“, sagt Anton Wiest. „Und in diesem Moment wird man mit ihren Gefühlen konfrontiert.“

Meistens kennen die beiden jungen Bestatter den Toten nicht und wissen fast nichts über ihn. Aber die Art und Weise, wie um ihn getrauert wird, lässt viele Rückschlüsse zu. „Man merkt, ob die verstorbene Person wirklich beweint und betrauert wird. Man merkt auch, wer trauert: das Enkelkind der Oma zum Beispiel, das als einziges weint, während sich die anderen ganz normal unterhalten. Oder die Erleichterung der Angehörigen, dass der Verstorbene endlich gehen durfte, und er vielleicht von einer schweren Krankheit erlöst wurde“, erzählt Anton Wiest.

Als Bestatter mache man sich mehr Gedanken über das Sterben, sagt Joye. „Denn es ist ja nicht so, dass man nur alte Menschen beerdigt.“ Es sind auch junge Menschen und Kinder dabei. Solche Fälle sind anders. Trost findet er im Glauben: „Jeder Mensch hat seine Aufgabe, die er erfüllen muss oder darf – das gibt mir einen Halt.“

Text · Bild: Sabina Riegger

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