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Das Tabuthema: Häusliche Gewalt

Maria ist 63 Jahre alt. 41 Jahre war sie mit einem Sadisten verheiratet, sagt sie leise. Ihre beiden Kinder sind erwachsen und längst selbst verheiratet. „Keiner glaubte mir die Misshandlungen. Vor den Anderen war er so fürsorglich, er galt als Gentleman und Familienmensch. Meinetwegen bemitleideten ihn Freunde, Familie und Bekannte. In ihren Augen war ich die Tollpatschige, die ständig irgendwelche Knochenbrüche hatte, Treppen runter fiel, und anderes Missgeschick passierte.“ Marias Mann ist ein angesehener Arzt. Schlagen war nicht sein Ding. Er zwang sie sich selbst zu verletzen. „Wenn ich nicht das tat was er wollte, drohte er mir, das gleiche mit den Kindern zu machen. Ich wusste, dass er das machen würde. Er sagte immer, ich bin sein Ventil. Bei mir kann er sich entspannen. Wenn er mir befahl, mich die Treppe runter fallen zu lassen, überlegte ich krampfhaft, wie ich das anstellen sollte, ohne mich ernsthaft zu verletzen. Tat ich etwas nicht, musste ich mich unter die kalte Dusche stellen oder Toilettenwasser trinken. Und dann ging es wieder von vorne los.“

Ihren richtigen Namen haben wir verändert und fragen gleichzeitig, wie sie es schaffen konnte, diese Demütigungen so viele Jahre auszuhalten. „Ohne eigenes Geld? Keine Wohnung. Was hätte ich den Kindern bieten können?“, fragt sie in einem ruhigen Ton. Einmal wollte sie ausbrechen, aber sie wusste nicht, wie sie es ihren Kindern erzählen sollte, dass ihr Vater sie misshandelt. „Meine Kinder haben studiert. Ich alleine hätte es ihnen nicht ermöglichen können“, erzählt die 63-Jährige. Ihre junge Nachbarin war es schließlich, der die Häufigkeit von Marias Unfällen merkwürdig vorkam. Sie sprach Maria darauf an. „Es war eine peinliche Situation. Es berührte mich so sehr, dass ich zu weinen anfing. Ich fühlte mich soals ob ein ganz großes Gewicht von mir abfiel und plötzlich hatte ich Angst.“ Maria ist kein Einzelfall. Häusliche Gewalt und Demütigungen gegenüber Frauen kommen in den besten Familien vor. Dass sie Zuflucht in einem Frauenhaus finden würde, hätte sie nicht gedacht. Heute ist sie dankbar für dieses Sprungbrett. „Ich habe hier Selbstachtung gelernt.“ Seit zwei Monaten lebt sie im Frauenhaus. Sie gehört zu den älteren Frauen im Haus. Alle anderen sind um einiges jünger als sie. „In einem Monat darf ich in meine kleine Wohnung  einziehen. Ich weiß, dass ich es schaffen werde – jetzt muss ich nur noch lernen, dass ich frei bin.“

Von Gewalt kann jede Frau betroffen sein, unabhängig von Nationalität, Bildung, Alter oder Einkommen. Gewalt gegen Frauen ist kein Einzelphänomen und macht auch nicht Halt vor Stadt oder Land. Überall, selbst in den idyllischsten Gegenden und in noch so gut funktionierenden Dorfgemeinschaften, erlebt jede vierte Frau in ihrem Leben mindestens einmal Gewalt durch einen Lebenspartner. Frauen erleiden in der Regel nicht nur eine Form der Gewalt, sie erleben sie in vielfältigen Erscheinungsformen: Psychische/emotionale Gewalt wie permanente Abwertung, ständige Schuldzuweisungen, Einschüchterung … Bei der sozialen Gewalt geht es um die Kontrolle der sozialen Kontakte (E-Mails, Handy, Telefon, Abbruch von familiären Kontakten). Viele Frauen erleben auch die ökonomische Gewalt. Ihnen wird Arbeitsverbot erteilt, so dass sie auf finanzielle Unterstützung des Mannes angewiesen sind. Letztendlich geht es immer um die Ausübung von Macht und Kontrolle über Frauen.

Seit 1995 gibt es in Kaufbeuren ein Frauenhaus. Es bietet Frauen und Kindern aus dem gesamten Ostallgäu, die von häuslicher Gewalt und Missbrauch bedroht sind, Schutz und Zuflucht. Das Frauenhaus Kaufbeuren verfügt über Zimmer für fünf Frauen mit Kindern und zwei Notzimmer, die meist zu 70-80% belegt sind. In der ersten Zeit ist das Haus für die Frauen ein Ruhepol, um sich neu zu orientieren. Die Frauen und Kinder leben in einer Wohngemeinschaft, was für viele nicht einfach ist. Verschiedene Altersgruppen und Nationalitäten treffen aufeinander und erfordern viel Toleranz. Das Frauenhaus Kaufbeuren platzt aus allen Nähten. Es sind nicht nur kleine Kinder, sondern auch Jugendliche im Haus und die Räumlichkeiten sind mittlerweile mehr als zu klein. Auch ist keinerlei Barrierefreiheit gegeben. Es gibt dort Mütter mit behinderten Kindern oder Frauen, die auf Grund ihres Alters auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind. Diese Frauen können nicht aufgenommen werden. Das Bestreben des Hauses ist es jedoch, allen Frauen Zuflucht zu gewähren. Die Mitarbeiterinnen unterstützen die Frauen bei bürokratischen Hürden, Ämtergang, Wohnungs– oder Jobsuche und stellen Kontakte zu Rechtsanwältinnen, Jugendamt, Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen her, um ihnen einen guten Start in ein neues und eigenständiges Leben zu ermöglichen.

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Finanziert wird das Frauenhaus durch das Land Bayern, die Stadt Kaufbeuren und den Landkreis. Doch nicht alle nötigen Hilfen können aus öffentlichen Mitteln bewältigt werden. Daher wurde der Förderverein für Frauen und Kinder im Frauenhaus Kaufbeuren-Ostallgäu gegründet. Ein gemeinnütziger Verein, der sich ausschließlich durch Spendengelder finanziert. Es wird Geld gesammelt für alles, was nicht bezahlt wird. Zum Beispiel  Wohnungskautionen, Haushaltsgeräte, Geschirr-Besteck, Kleidung, alles was zum Start eines eigenen Haushaltes notwendig ist. Die Frauen zahlen das in kleinen Monatsraten zurück. Manchmal gibt es auch eine Soforthilfe in Form von Lebensmittelgutscheinen, wenn die Bürokratie zu lange dauert. Auf diese Weise wirkt der Förderverein als „Puffer“, der finanzielle Hilfen schnell und unbürokratisch zur Verfügung stellt.

Unterstützt wird das Haus von vielen ehrenamtlichen Helfern. Sie sind es, die z.B. den 24-Stunden-Notdienst am Telefon machen. Sie kümmern sich um Frauen, die auch nachts um Hilfe bitten und koordinieren die Unterbringung. Es gibt einen „Opa-Oma-Dienst“! Pensionäre, die  sich um die Kinder kümmern, wenn die Mütter Behördengänge zu bewältigen haben. Es sind ehrenamtliche Handwerker, die den Frauen bei der Einrichtung einer neuen und eigenen Wohnung helfen.

Ohne ehrenamtliche Helfer wäre die Aufrechterhaltung des Frauenhauses Kaufbeuren nicht möglich. Alle freiwilligen Helfer werden geschult und übernehmen auch Aufgaben im Haus. Daher ist der Förderverein sehr dankbar für Jeden, der sich dieser Aufgabe stellen will. Gesucht werden Handwerker, Oma und Opas, einfach Menschen, die den Verein ehrenamtlich unterstützen und den geläuterten Frauen wie auch den Mitarbeitern des Frauenhauses helfen möchten.

Erreichbar ist das Frauenhaus Kaufbeuren an 24 Stunden über die Rufnummer 08341 16616
Spendenkonto: VR-Bank
Kaufbeuren-Ostallgäu
IBAN: DE 927 346 004 600 000 737 76
Rund 15.000 bis 17.000 Frauen finden jährlich Schutz in Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen. Rechnet man ihre Kinder hinzu, so sind es etwa 30.000 bis 34.000 Personen pro Jahr, die der ausgeübten Gewalt auf diese Weise entfliehen.

Die größte Chance auf Zuflucht haben Frauen statistisch gesehen in Bremen. Hier gibt es pro 10.000 Einwohnerinnen 3,63 Frauenhausplätze. Das geringste Angebot hat Bayern mit umgerechnet nur 0,53 Plätzen. Diese Zahlen gehen aus einem Bericht zur Situation der Frauenhäuser und anderer Unterstützungsangebote für von Gewalt betroffener Frauen hervor.

In Deutschland gibt es 353 Frauenhäuser und circa 41 Schutzwohnungen mit über 6.000 Plätzen. Hilfe finden Frauen auch bei rund 750 Fachberatungsstellen.

Text: Sabina Riegger / Via

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