Kolumne

Spielplatz

Ich bin leidenschaftlich neugierig. Aber es gibt auch ein paar Dinge, von denen ich dann doch nichts wissen will. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, erreichen mich die brandheißen Neuigkeiten dann doch. Gezwungenermaßen. Weil ich dieser Informationsflut ausgeliefert bin. So wie gerade auf dem Spielplatz. Ich bin gefangen und kann hier nicht weg.

Die Worte, die vielen, vielen Worte des Muttertiers rechts neben mir verstören mich. Hier liegen fünf Meter zwischen Himmel und Hölle. Ich bin in der Hölle. Ich will aber rüber, auf die gute Seite. Ich will auch in den Sandkasten. Auch wenn ich mir nachher den halben Sandkasten aus diversen Öffnungen pulen muss. Egal. Ich will nur nichts mehr über die Stuhlganggewohnheiten von Tillmann wissen. Wirklich nicht. Ich glaube meine Reflexe funktionieren nicht mal mehr richtig. So verstört bin ich schon. Ich will rüber zu meinem Kind, weg hier, ich will mitspielen, lachen und endlich nichts mehr über Aa, Blähungen, Verstopfung wegen zu wenig Bewegung oder Gestank im Hausflur hören. Aber ich kann mich nicht bewegen. Vor Scham. Vor Angst, sie könnte mich ansprechen. Ich bin einfach stocksteif und starr. Ich glaube, ich blinzle nicht mal mehr rhythmisch. Nur mein Würgereflex funktioniert ausgesprochen gut, wahrscheinlich, weil meine Mutter-Kollegin wie am Fließband weiterredet. Und dazu noch laut. Sehr laut.

Wahrscheinlich, um absolut sicher zu gehen, dass jedes Lebewesen im Umkreis von zehn Kilometern von „Tillmanns Verstopfung weiß, die selbst nach ihrer speziellen Bauchmassage mit Tristans Kümmelöl, nicht besser wurde.“ Der Wind hier, weht durch die großen Bäume, die Sonne scheint, es ist angenehm warm – ein schöner Tag.  Aber ich wünsche mir, dass sich eine gewaltige Regenwolke auftut, wenn möglich direkt über ihr. Damit endlich Ruhe ist und sie verschwindet.

„Sei endlich still du!“ Ich schreie innerlich. Mein geistiges Auge weint. Weil es nicht anfängt zu stürmen und zu regnen. Und weil ich weiß, dass der kleine Kerl da vorne im Sandkasten mit der Hose auf halb acht, nicht Tillmann mit der Verstopfung ist. Sondern Tristan, der gerade versucht, seinen Schlüppi zur sandfreien Zone zu machen. Ihm gehört auch das Kümmelöl. Nicht Tillmann, seinem Papa.

Tillmann ist ein armes Schwein. Meine Gedanken sind bei ihm, während seine Frau ihrer Freundin von Tillmanns „in die Jahre gekommenen, untrainierten Körper, seinen Ausdünstungen und Verhärtungen im Bauchraum“ erzählt. Neben mir steht eine Masochistin. Schön. Und ich glaube, ihr Spezialgebiet sind Eier. Seine Eier. Sie hat sie ihm abgenommen, trägt sie immer bei sich, quetscht und drückt vor allen auf den Dingern rum. Igitt… Das will ich nicht sehen. Was für eine Schweinerei. Also: „Tillmann, Ostern ist vorbei, aber ich glaube du hast auf dem Spielplatz zwei Stück übersehen. Komm suchen, bitte, bitte.  Am besten hier, rechts neben mir…“

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