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Alpenüberquerung – trotz oder gerade wegen Handicap

Unmögliches möglich machen

Eigentlich ist eine Überquerung der Alpen zu Fuß auf der klassischen Route von Oberstdorf nach Meran für Viele nichts Außergewöhnliches mehr. Für die 30-jährige Jaqueline Fritz aus der Pfalz keinesfalls, denn das, was die seit sieben Jahren Oberschenkelamputierte junge Frau vorhat, ist auf den ersten Blick beinahe unglaublich. Die Alpen auf der Strecke von Füssen nach Meran mit Hilfe von Krücken zusammen mit einer befreundeten Ärztin und ihrem treuen Mischlingshund „Loui“, also insgesamt rund 250 Kilometer und gut 25.000 Höhenmeter in etwa 3-4 Wochen zu überwinden. Mit Krücken deshalb, weil die elektronische Prothese zum einen für so ein Unternehmen zu schwer ist, die Stromversorgung wahrscheinlich nicht vollständig gewährleistet wäre und zudem das sichere Gefühl für die Standfestigkeit nicht optimal ist. 

Die Idee entstand vor etwas mehr als einem Jahr während einer 12-wöchigen Rehamaßnahme in der Hopfener Fachklinik Enzensberg, wo sie viel Zeit mit Wandern verbrachte, aber warum nur auf ebenen und geraden Wegen?  Eine neue Herausforderung war für sie das Gebirge und bei einer Tour auf das Neunerköpfle, rauf mit Krücken, runter  mit der Bahn, wurde die Idee geboren, etwas zu tun, was noch keine Frau vorher getan hat, auch wenn mehr als ein Mal der Kommentar fiel: „Muss das denn sein?“ oder „Das ist doch nicht normal, was Du da vorhast!“

Mit Energie und ungeheurem Willen hat die selbstständige Grafikdesignerin dieses Vorhaben vorangetrieben, geplant und Sponsoren gesucht, denn die Gesamtkosten werden wohl so um die 20.000 Euro liegen. Auch ein Bergführer und zwei Kameramänner als Begleiter waren gefunden und Anfang Juli sollte das Unternehmen in die Tat umgesetzt werden. Zur gewissenhaften Vorbereitung, die Gefahren und Probleme werden von ihr nicht beiseite geschoben, gehört intensives und adäquates Training im ganzen letzten Jahr: Schwimmen, Krafttraining, Klettern in der Halle sowie Freeclimbing mit einer speziellen Carbon-Prothese, aber auch mit Krücken auf dem Laufband mal eben 10 Kilometer abzuspulen.

Erfahrungen mit Besteigungen sammelte sie ausreichend auf Gipfeln wie dem Säuling, dem Aggenstein oder dem Hochvogel, wo mitunter schon so mancher nicht Behinderte so seine Probleme hat. Auch vor Deutschlands höchstem Gipfel, der Zugspitze, machte sie nicht Halt. Am ersten Tag bis zur Wiener-Neustädter Hütte und am zweiten Tag über den Klettersteig hinauf zum Gipfel, wo die Hüttengäste, die natürlich schneller oben waren sie mit Applaus empfingen, eine ergreifende Szene.

FA_10_15_Alpen01Dann aber kamen nicht kalkulierbare Rückschläge: Gerade mal zwei Wochen vor dem Start hatten ihr Bergführer sowie die zwei Kameraleute mit dem vorgesehenen Termin Probleme, auf die Schnelle war leider Ersatz nicht verfügbar. Doch das Wort aufgeben gehört nicht zu ihrem Vokabular. Dann eben erst Mal in der letzten September- und der ersten Oktoberwoche, falls es die Wetterlage noch zulassen sollte eine Kurzform in drei Etappen. Säuling, Hochvogel und ein Abstecher auf den Gletscher des Similaun wären die ausgewählten Ziele. Die ganze Überquerung soll dann im nächsten Jahr in Angriff genommen werden, sobald es die Schneelage zulässt.

Mit aller Kraft will sie versuchen, dieses  selbstgesteckte, hohe Ziel auch tatsächlich zu verwirklichen. Sie will beweisen, wozu man trotz Behinderung fähig sein kann und damit behinderten Menschen Mut machen vermeintlich Unmögliches ruhig zu versuchen. Wenn dieses Projekt hilft, Toleranz gegenüber behinderten Menschen zu fördern und Berührungsängste abzubauen, wäre das ein positiver und wünschenswerter Effekt.

Text: Manfred Sailer · Bilder: privat

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