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„Ich bin Mensch und als solcher will ich gesehen werden“

Religion und Kultur sind nicht das Gleiche

Fatma, so nennen wir die junge Frau in unserem Bericht, hat rote Haare und ein Piercing. „Für eine Türkin ist das etwas ungewöhnlich. Das Äußere sagt nichts über einen Menschen aus“, meint sie lächelnd. Ihre Eltern sind sehr liberal. Sie wissen, dass sie sich auf ihre Tochter verlassen können. „Verbote lösen nur das Gegenteil aus“, meint der Vater. Er ist Schlosser und arbeitet in einer großen Firma. Die Mutter ist Bankkauffrau. Sie sind integriert, in Deutschland schon längst angekommen. Ihre Eltern waren die ersten Gastarbeiter. Fatma gehört nun der dritten Generation an. Vor zwei Jahren hat sie ihr Abitur gemacht, jetzt studiert sie soziale Arbeit. Sie will jungen Menschen helfen, ihren Weg in der Gesellschaft zu finden.

Dabei hätte sie durchaus Chancen ge-habt, ein Model zu werden. Laut dem Modelscout, der sie vor einem Jahr auf der Straße in München ansprach, hätte sie das „Zeug“ dazu. „Na ja, ich bin ja nicht gerade klein“, lacht sie. Mit ihren 1,82 Meter fällt sie eben auf – aber damit hat die 22-Jährige kein Problem. Vielmehr haben andere ein Problem mit ihren Ansichten, speziell dann, wenn sie ihren Standpunkt vertritt, dass Religionen nicht unbedingt gesellschaftsfördernd sind. „Ich bin keine Atheistin, aber auch keine gläubige Muslima. Ich bin Mensch und als solches will ich gesehen werden. Ich will in keine Schublade gepresst werden, insbesondere in keine religiöse.“ So genau hat es Fatma noch niemandem gesagt, weil es zu viele fanatische Menschen gibt und auf Drohungen habe sie keine Lust, erklärt die Studentin.

Fatma unterscheidet Religion von Kultur. Ihre Eltern kennen ihre Einstellung und tragen sie mit. Dass Fatma vielleicht mit dieser Auffasung von Religionsfreiheit keinen türkischen Ehemann finden wird, sehen die Eltern sehr gelassen. „Wir haben unsere Tochter zu einem selbstbestimmenden Menschen erzogen.“

Globales Denken

Seit zwei Jahren engagiert sich Fatma in dem Jugendhaus, dem sozialen Brennpunkt, wie sie es nennt, an ihrem Studienort in München. Viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, aber auch deutsche Kinder aus sozial-schwachen Familien haben hier ein zweites Zuhause gefunden. „Die Sprachen haben sich vermischt zu einem Kauderwelsch aus verschiedenen Wörtern. Solange die Kinder klein sind, funktioniert das auch mit der Religion. Erst wenn sie in die Pubertät kommen, identifizieren sie sich mit ihrem Kulturkreis und da spielt die Religion eine zentrale Rolle,“ erklärt Fatma.

Jetzt, am 28. Juni, wenn der Fastenmonat Ramadan beginnt, wird es im Jugendhaus etwas ruhiger. Dann sind die großen Mädchen zu Hause. Sie bereiten das Essen für den Abend vor. Fatma wird auch fasten – allerdings anders. Sie wird nur Tees, Gemüsebrühe und –Säfte trinken und keine Nahrung zu sich nehmen. „Das ist mein spirituelles Fasten und das mache ich einige Male im Jahr für mindestens eine Woche. Auch vor Ostern.“ Gemeinsam mit Freunden will sie auch dieses Jahr nach Berlin zu „Die Nächte des Ramadan“. Dort treffen sich Muslime und Nichtmuslime und solche, die global denken, so wie die gebürtige Füssenerin. Ihre Freundin Hannah war es, die ihr von dieser großen Veranstaltung erzählte, und sie mit nach Berlin nahm. „Ich war beeindruckt von so vielen unterschiedlichen Kulturen und Bräuchen, so dass wir dieses Jahr wieder hinfahren werden.“

Nächte des Ramadan

Ramadan ist für viele Muslime der wichtigste Monat im Jahr. Ein kulturelles Programm nach dem abendlichen Fastenbrechen wird in zahlreichen Städten der Welt veranstaltet. Auch in Berlin, der Metropole mit dem größten muslimischen Bevölkerungsanteil in Deutschland, ist das Kulturfest „Die Nächte des Ramadan“ fest im Veranstaltungskalender verankert. In diesem Jahr soll im Rahmen der Konzertreihe Die Nächte des Ramadan – Women‘s Voices besonders Berliner Künstlerinnen eine Bühne verschafft werden. Women’s Voices bezieht sich zum einen auf die verschiedenen Facetten des musikalischen Ausdrucks von traditioneller Musik bis hin zu populären Musikstilen. Zum anderen darauf, Themen und Geschichten, mit denen sich diese Künstlerinnen beschäftigen, eine ‚Stimme’ zu verschaffen.
Außerdem wird das Kulturfest in diesem Jahr durch die Veranstaltungsreihe „Wie im Film!? Muslimische Vielfalt in Berlin“ erweitert, die mit Filmen und Gesprächen die Facetten muslimischer Vielfalt und des Zusammenlebens in Berlin beleuchtet. Von Konzerten über Filme, Diskussionsrunden bis hin zum gemeinsamen Fastenbrechen (Iftar) laden „Die Nächte des Ramadan“ berlinweit dazu ein, Einblicke in ganz unterschiedliche muslimisch geprägte Kulturen zu gewinnen und darüber hinaus neue Orte zu entdecken und kennen zu lernen.

Mehr Informationen unter:
www.piranhakultur.de

Am 28. Juni beginnt dieses Jahr der Fastenmonat. Der Beginn des Ramadan richtet sich wie in jedem Jahr nach dem islamischen Mondkalender. So verschiebt sich die Fastenzeit wegen des Mondzyklus jedes Jahr um 10 oder 11 Tage. Während des Fastenmonats Ramadan verzichten gläubige Muslime 30 Tage lang von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Speisen und Getränke. Auch Rauchen und Sex sind nicht erlaubt. Das Fasten richtet sich genau nach der Uhrzeit und den Gebetszeiten. Es beginnt täglich in der Morgendämmerung, ab dem Frühlicht, vor dem sogenannten Fajr-Gebet und endet mit dem Sonnenuntergang, dem Beginn des Maghrib-Gebetes.

 

Text: Sabina Riegger
Bild: Flickr/Rana Ossama

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