Menschen

Sein eigenes Leben leben

Stefan Holzer: Diagnose hoher Querschnitt

Eine Nachricht, die schockiert und im ersten Moment völlig unwirklich klingt. Gefangen im eigenen Körper, der plötzlich nicht mehr spürbar ist und keinerlei Bewegungsabläufe nachvollzieht. Unvorstellbar und trotzdem die nüchterne Realität, mit der sich Stefan Holzer seit seinem Unfall auseinandersetzen muss.

Es war Freitag, der 08.10.2010, nachts um 01:30 Uhr, als Stefan Holzer aus Steingaden mit dem LKW kurz vor seinem Ziel bei Kraftisried von der Fahrbahn abkam und frontal mit einem Baum kollidierte. Die Ursache ist bis heute nicht geklärt, aber vermutlich war es der gefürchtete Sekundenschlaf, der sein Leben für immer veränderte.

Bereits am Unfallort war schnell klar, dass er sich durch den Aufprall schwerste Verletzungen zugezogen hatte und sofort im Krankenhaus Kempten notoperiert werden musste. Das Ausmaß der Kollision kristallisierte sich immer deutlicher heraus, weswegen Stefan umgehend am darauffolgenden Tag mit der schockierenden Diagnose „Hoher Querschnitt“ in die Unfallklinik nach Murnau verlegt wurde, wo er insgesamt vier Monate auf der Intensivstation und weitere acht Monate auf einer Normalstation verbrachte.

Nach einem weiteren dreimonatigen Klinikaufenthalt in Tübingen folgte bald darauf der nächste Rückschlag, als Stefan im September 2011 noch zusätzlich einen Schlaganfall mit folgenschweren Schädigungen erlitt. Von diesem Tag an konnte er nun auch nichts mehr essen, da der Schluckreflex durch die Lähmung ausfiel, was für Stefan ganz besonders schlimm war, wo er doch leidenschaftlich gerne gegessen hat und jede Gelegenheit nutzte, um seine Kochsendungen zu verfolgen.

Bis im Juni 2012 liest sich die Krankheitsgeschichte des im dritten Lehrjahr befindlichen Berufskraftfahrers wie ein Albtraum. Nach der Diagnose hoher Querschnitt und dem Schlaganfall kam es in dieser Zeit noch zu zwei Herzstillständen und einer Hautschädigung, die bis auf den Knochen ging.

Eine Geschichte, die zutiefst berührt und traurig stimmt. „Für immer ab der Halswirbelsäule querschnittsgelähmt mit künstlicher Beatmung zu leben“, war die trostlose Aussicht des damals 21-Jährigen. Eine unwiderrufliche Diagnose, die bei ihm Angst und Depressionen auslöste. Wie sollte es weitergehen? War dieses Leben noch lebenswert? All diese Fragen stellte sich der junge Mann tagtäglich mehrmals, aber keiner konnte ihm Antworten darauf geben, bis er sich im August 2012 selbst dazu entschied, wirklich leben zu wollen. Diese positive Lebenseinstellung öffnete endlich wieder einen Zugang zu Stefan, der sich nach seinem Unfall bis dato vollkommen in sein Schneckenhaus zurückgezogen hatte und ermöglichte ihm und seinem Umfeld neue Perspektiven und Ziele.

Schon als Kind war er so lebenslustig und zu jeder Schandtat bereit. Der Schalk im Nacken und das Leuchten in seinen Augen ist glücklicherweise wieder zurückgekehrt. Deutlich spürbar und mit so viel Herzlichkeit in seiner Stimme erzählt er mir von seinen Highlights im vergangenen Jahr. Als absoluter Schlagerfan war der Konzertbesuch bei Heino in Roßhaupten das wohl bisher größte Erlebnis, das er seit seiner Erkrankung miterleben durfte. Aber auch das Benefizspiel mit einer Beteiligung von 15 Fußballmannschaften, das ihm zu Ehren von seinem Arbeitgeber Ansorge Spedition organisiert wurde, bleibt unvergesslich in seiner Erinnerung. Selbst drei Jahre nach dem Unfall kümmert sich die Firma immer noch rührend um ihren einstigen Schützling und lädt ihn regelmäßig zu Veranstaltungen ein.

Dem unermüdlichen Einsatz des Pflegepersonals ist es zu verdanken, dass diese Wünsche wahr werden, da Stefan vierundzwanzig Stunden rund um die Uhr von der Ambulanten Intensivpflege Becker betreut und beatmet wird. Jeder noch so kleine Ausflug erfordert ein Höchstmaß fachlicher Kompetenz, die alle Beteiligten mit sehr viel Einfühlungsvermögen und größter Sorgfalt meistern. So oft es das Wetter zulässt, stehen täglich lange Spazierfahrten von mindestens 1,5 – 2 Stunden auf dem Programm und durch intensivste Trainingseinheiten mit seinen Therapeuten ist er mittlerweile in der Lage, durch eine spezielle Mundsteuerung eigenständig einen Elektrorollstuhl zu betätigen.

„Jetzt haben meine Betreuer größte Probleme, mir noch hinterherzukommen“, lacht er mit einem verschmitzten Grinsen. Am liebsten zieht es ihn in die nahegelegene Eisdiele, da er in den vergangenen Monaten so große Fortschritte machte und ganz langsam wieder weiche Speisen wie z. B. Eis schlucken darf. Mittlerweile kann er sogar verschiedene Eissorten geschmacklich voneinander unterscheiden und sein persönliches Favoriteneis „Stracciatella“ genießt er in vollen Zügen.

Jetzt im Winter sind die Möglichkeiten der Ausflüge ein wenig begrenzter, aber auch da konnte er voller Freude sogar den Füssener Weihnachtsmarkt besuchen. Die langen Tage in seiner Wohnung ist Stefan aber keinesfalls von der Außenwelt abgeschnitten. Es ist unglaublich zu sehen, wie er mit Hilfe eines „Umfeldkontrollgerätes“ sämtliche Apparate wie z.B. den Fernseher und seinen Computer betätigt. Einzig und alleine mittels verschiedener Atemtechniken seines Mundes steuert er die gesamte Tastatur des PCs und kann dadurch in Onlineportalen mit seinen Freunden kommunizieren und Gedanken austauschen, vor allem mit seinem Freund Tom, der ein ähnliches Schicksal mit ihm teilt.

Glücklicherweise lässt sich auch das Telefon über diese hochmoderne Technik bedienen, denn somit unterhält sich Stefan stundenlang mit seiner geliebten Oma, die ihn auf Grund ihres Alters und der Entfernung nicht mehr regelmäßig besuchen kann und neben seinem Vater, der mindestens 4 – 5 mal wöchentlich bei ihm vorbeischaut, mit die wichtigste Bezugsperson in den vergangenen Jahren wurde. Sie motivieren ihn, spenden Mut und Kraft für neue Visionen und geben Stefan den nötigen Halt, den er für weitere Fortschritte in seinem Entwicklungsprozess immer wieder benötigt.

Auch wenn es ihm an manchen Tagen schlecht geht, strahlt er trotz seines extrem starken Handicaps mit seiner Querschnittslähmung und andauernden Beatmungspflichtig so viel ansteckenden Optimismus aus und blickt voller positiver Lebensfreude in seine Zukunft. Seine gesamte Ausstrahlung ist äußerst beeindruckend und außergewöhnlich, dass man in Stefans Gegenwart fast die Situation vergisst, in der er sich befindet, weil er mit seiner fröhlichen und witzigen Art permanent gute Laune verbreitet. Stefan hat sich entschieden, das Beste aus seinem Leben zu machen und Schritt für Schritt weitere Träume mit Hilfe seiner großartigen Begleiter in die Tat umzusetzen. Das nächste große Ziel hat der Musikbegeisterte  schon im Visier… er möchte auf alle Fälle im kommenden Frühjahr das Konzert der Sportfreunde Stiller in Kempten besuchen und vielleicht schafft er es ja sogar, seine Idole persönlich kennenzulernen. Sein tolles Betreuungsteam wird jedenfalls alles daransetzen, um mit ihm noch viele weitere Ziele zu verwirklichen und sein Leben so lebendig und abwechslungsreich, wie nur möglich, zu gestalten. Stefan will einfach nur leben und „SEIN LEBEN“ genießen… aus seiner Sicht eine so wunderbare Einstellung, die uns alle zum Nachdenken bewegen sollte, um den eigenen Blickwinkel wieder auf unser höchstes Gut zu lenken… die GESUNDHEIT, das Wichtigste in unserem Leben!!!

Text · Bild: Tanja Hiebsch

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