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Vivian Al Sharif – wenn zwei Kulturen verschmelzen

„Jeder Mensch muss sich frei entfalten dürfen“

In einer fremden Kultur zu leben, ohne von ihr etwas zu übernehmen, ist fast unmöglich. Irgendwann passt man sich an. Man hält die Balance, so wie eine Hochseilartistin, die von einem Eck zum anderen Schritt für Schritt geht. Manchmal ist es ein Reiz zwischen zwei so ganz verschiedenen Kulturen zu leben. Vivian Al Sharif ist eine gebürtige Füssnerin, mit Migrations-Hintergrund, wie man so schön sagt. Sie liebt die Berge und das Wandern, weil sie einem das Gefühl geben, frei zu sein.

Vivian Al Sharif ist 38 Jahre alt. Vor 42 Jahren kamen ihre Eltern aus Midyat Mardin, Türkei, nach Deutschland. „Sie lebten eine Zeit lang in Ansbach, bevor sie dann nach Füssen zogen. „Hier lebte meine Tante“, erzählt die Pharmazeutisch-Kaufmännische Assistentin. Die Mutter eines Sohnes ist Aramäerin. „Mein Ex-Mann sprach arabisch und kein aramäisch. Wir haben uns anfangs auf Englisch unterhalten. Manchmal auch auf arabisch, weil ich einige „Brocken“ sprach“, erzählt sie. Heute ist sie eine alleinerziehende Mutter.

Wenn man aus einem christlich–orientalischen Kulturkreis kommt, dann sind die Regeln etwas anders. Früher war es noch strenger, weil sich jeder irgendwie verpflichtet fühlte auf die „Jungen“ aufzupassen, auch wenn sie nicht wirklich den Auftrag dafür hatten. Heute ist alles ein wenig freier, um nicht zu sagen großzügiger. Aufgepasst wird allerdings immer noch.

„Mit der Freiheit wurden wir eben etwas strenger erzogen“

„Ich lebe jetzt auf jeden Fall freier. Ich ziehe jetzt nicht unbedingt durch die Häuser, aber mein Kind wird auch freier erzogen, das ist ganz klar“, definiert es Vivian Al-Sharif. Für sie bedeutet Freiheit Weggehen zu können, wann sie möchte und Entscheidungen zu treffen, wie sie es für richtig hält. „Eine Frau muss unabhängig sein. Einengen lassen würde ich mich nie wieder“, gibt sie zu verstehen. Für aramäische Verhältnisse ist die blonde Frau emanzipiert und doch traditionell geblieben. Auch heute noch hält sie die Waage, die Balance zwischen ihrer Welt und die ihrer Eltern und Verwandten. „Ich denke, dass das nur möglich ist, wenn man gegenseitigen Respekt hat“, gibt sie zu verstehen. Für sie ist der familiäre Zusammenhalt ein ganz wichtiger Aspekt ihrer Kultur. „Das schätze ich sehr. Dagegen sind die Deutschen wesentlich offener und die Anderen eher konservativer und vielleicht auch engstirniger. Sie leben nicht im Jetzt.“ Dass man sich in dem  Kulturkreis, in dem sie aufgewachsen ist,  trennen kann, ist heute normal. Und doch ist es ebenso normal über einen zu reden, vielleicht auch mit dem Finger auf diesen zu zeigen. „Da kommen wir wieder auf das Konservative zurück. Kein Mensch trennt sich aus Spaß. Sagen wir mal so, für keinen ist eine Trennung angenehm – egal aus welchem Kulturkreis man kommt. Bei mir war es nicht einfach, aber meine Familie hat zu mir gehalten.“

Eine starke Frau mit Wünschen

Für Vivian Al-Sharif sind starke Frauen jene, die wissen was sie wollen. Ob sie sich als starke Frau sieht? „Vielleicht, ich kann das selbst nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass ich ein nachdenklicher Mensch bin und mir um vieles Gedanken mache, wie zum Beispiel über meine Zukunft und die meines Sohnes. Wer will schon alleine bleiben“, meint sie ernst.  Manchmal würde sie gerne abschalten und nicht so viel nachdenken. Aber vielleicht liegt es in der Natur ihres Sternzeichens, dem Wassermann, der die Freiheit über alles liebt und seine Umwelt sensibel wahrnimmt, warum sie das nicht kann. „Meine Freundin sagt immer zu mir: Vivi, die Männer haben Angst vor Dir! Sie meint, dass ich zu selbstständig bin, weil ich den Nagel in die Wand selbst hauen kann und auch sonst technisch begabt bin. Ich finde das gut. Es bedeutet nicht, dass eine Frau dadurch selbstbewusster ist oder superstark.“

Wie „ihr“ Mann aussehen soll, das hat sich die überzeugte Vegetarierin, die am liebsten bayerische fleischlose Gerichte isst, nicht wirklich überlegt. Welche charakteristische Eigenschaften er haben soll, allerdings schon: Er muss viel Humor haben, damit er sie zum Lachen bringen kann, zuverlässig sein, ihr das Gefühl geben wichtig zu sein, kinderlieb und er darf kein Egoist sein. Vivian Al-Sharif ist ehrlich. Sie ist angekommen in ihrer Welt, bestehend aus zwei Kulturen. Sie hat den Respekt weder vor der einen noch vor der anderen Lebensweise verloren, ganz im Gegenteil. Sie sind ineinander verschmolzen und haben aus ihr das gemacht, was sie ist: Eine starke Frau, die ihre Freiheit liebt. „Wenn man eingeengt wird, dann macht man nur Fehler. Das ist nicht gut. Jeder Mensch muss sich frei entfalten dürfen. Das ist ganz wichtig. Ohne freie Entfaltung hat nichts Bestand.“

Text · Bild: Sabina Riegger

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